Kategorie: Allgemein

Aton macht Pause

Aton macht Pause

Michi

Erschöpft, aber froh, mit einem blauen Auge davongekommen zu sein, saßen wir nun im Cockpit und nahmen unseren Kurs gen Süden entlang St. Vincent wieder auf. Wir motorsegelten so eine Weile in der fast mondlosen Dunkelheit dahin. „Hoffentlich hält unsere Kupplung durch.“, bemerkte Franz. In den letzten Tagen hatten wir nämlich immer öfter bemerkt, dass das Einkuppeln merklich schwerer ging und von einem immer lauter werdenden, hässlichen Klack-Geräusch begleitet wurde.

Zwischenzeitlich hatte der Regen aufgehört und sich der Wind gelegt. Franz begutachtete gerade die beim Legen der Genua verbogene, untere Reffeinrichtung des Vorstages. Plötzlich kam er aufgeregt ins Cockpit. „Hier riecht doch etwas verkokelt, oder?“, fragte er mich. „Ja, ich rieche es auch. Mein Gott, was ist denn das nun wieder?“. Schnüffelnd durchsuchten wir unser schwimmendes Zuhause, um festzustellen woher der Geruch kam. Schließlich entdeckte Franz, dass das vordere Zweifarbenlicht, welches nachts anderen Schiffen unseren Kurs anzeigt, einen Kurzschluss hatte. Um die Gefahr eines Kabelbrandes zu vermeiden, schaltete Franz auch das weiße Rücklicht aus und unser Ankerlicht an der Mastspitze ein. Dieses ist zwar sehr schwach, aber war nun unsere einzige Möglichkeit, nicht gänzlich unsichtbar zu sein. Da der Schlaf mich nun übermannte, legte ich mich einige Stunden ins Bett; Franz hatte nachmittags schon vorgeschlafen. Um zwei Uhr nachts übernahm ich das Ruder und Franz legte sich hin.

Ein riesiger Frachter war aus der Ferne und im AIS zu sehen, dessen Kurs genau auf uns gerichtet war. „Auch das noch.“, dachte ich mir. Ich legte mir einen großen Scheinwerfer zurecht, mit dem ich unser Segel anleuchten konnte, damit uns der Frachter bei Kollisionsgefahr besser erkennt. Witzigerweise änderte der Frachter später aber seinen Kurs, wendete und fuhr dahin zurück, von wo er gekommen war. Seltsam, aber somit war auch diese Gefahr gebannt. Um fünf Uhr erreichten wir unser Ziel, und ich weckte Franz, damit wir das Großsegel bergen konnten. „Jetzt lege ich mich noch einmal hin, bis alle anderen da sind. Schließlich haben wir tagsüber noch volles Programm, da müssen wir fit sein.“. Als ich nach etwa einer Stunde traumlosen Schlafs wieder ins Cockpit kam, fand ich dort einen tropfnassen, triefenden Franz vor. „Jetzt hast Du den Regen Deines Lebens verpasst.“, empfing er mich. „Es hat sintflutartig geschüttet, ich konnte nicht einmal mehr den Mast sehen.“.

Franz
Als wir als erstes Schiff des Konvois unser Ziel erreicht, und unser Großsegel geborgen hatten, versuchte ich, unser Schiff in dieser Position zu halten, um auf die restlichen Schiffe zu warten. Hierfür nahm ich die Hilfe unseres dritten Crewmitglieds, des Autopiloten, in Anspruch. In langsamer Schleichfahrt gegen den Wind hielt er Aton stoisch mehr oder weniger auf der Stelle. Langsam dämmerte der Morgen und ich sah, wie sich über Carriacou eine immense Regenfront aufgebaut hatte und genau auf uns zu kam. Von einem Moment zum nächsten erreichten uns starke Windböen, was den Autopiloten in seiner Arbeit überforderte. Kaum hatte ich das Ruder wieder übernommen, öffneten sich die Schleusen des Himmels. Wasserfallartig wurde das Cockpit geflutet und nahm mir jegliche Sicht. Selbst das Atmen war mir nur noch möglich, indem ich meine Hand schützend über Mund und Nase hielt. Gottseidank hatten wir vorsichtshalber bereits das Bimini, ein Sonnenschutzsegel über dem Cockpit, geborgen, weil die starken Böen es sicherlich beschädigt hätten. Der Bildschirm des Plotters (ein Multifunktionsinstrument zur Navigation) wechselte permanent die Oberfläche, da die touch-screen-Funktion das aufprasselnde Wasser als meinen Fingerdruck erkannte. Somit hatte ich keine Sicht, und keine Information über Standort, Tiefe und Geschwindigkeit. Ich steuerte nur noch intuitiv bis das ganze Schauspiel nach zwanzig endlosen Minuten abebbte. So etwas hatte ich noch nie in meinem Leben erlebt.

Nachdem ich den Plotter wieder trocken gewischt hatte, sah ich auf dem AIS, dass die anderen Schiffe unseres Konvois zwischenzeitlich beinahe angekommen waren. Sowie endlich alle da waren, fuhren wir nach genauen Instruktionen des Mutterschiffs nacheinander in die Enge Einfahrt der Marina. Als wir am Dock anlegten, und die Vorleine bereits am Pöller festgemacht war, kuppelte ich den Motor kurzfristig aus. Um die Heckleine an die Helfer am Dock übergeben zu können, versuchte ich, den Rückwärtsgang einzulegen. Der Widerstand des Schalthebels war jedoch mittlerweile derart groß, dass ich es gerade so mit beiden Händen schaffte, ihn in die Rückwärtsposition zu ziehen. Dabei stellte sich fest, dass sich zwar die Drehzahl erhöhte, die Kupplung nun aber den Dienst endgültig quittiert hatte. Dies machte es mir unmöglich, die Antriebswelle einzukuppeln. Demzufolge erzeugte die Antriebsschraube keinen Vortrieb mehr. Gottseidank hatte die Kupplung noch genau bis hierher gehalten! Dennoch gelang es uns, Aton sicher am Dock festzumachen. Wir waren uns einig: „Erst fast das Rigg verloren, dann die Beleuchtung ausgefallen und zu guter Letzt auch noch die Kupplung, die auf dem letzten Meter aufgibt. Heute haben wir wieder einmal großes Glück im Unglück gehabt!“

Michi
Als wir mit dem Auskranen an der Reihe waren, wurden wir mit einem Schlauchboot zur Krananlage geschleppt. Da die strengen Regeln dieses Konvois uns untersagten, uns an Land zu bewegen, mussten wir während des Kranens an Bord bleiben, was unter normalen Umständen strikt untersagt ist. An unserem Lagerplatz für die nächsten Monate angekommen, arbeiteten wir einige Stunden in sengender Hitze hochkonzentriert daran, Aton für die Einlagerung vorzubereiten. Als alle Konvoi-Mitglieder damit fertig waren, verließen wir abends auf dem Mutterschiff Carriacou Richtung Martinique. Vollkommen erschöpft von den anstrengenden und aufregenden letzten 36 Stunden schliefen wir schon bald in unserer Koje ein.

Aton bewährt sich, Teil 2

Aton bewährt sich, Teil 2

Franz
Hier muss ich für unsere nichtsegelnden Leser die Situation erklären. Der Mast eines Segelschiffs wird durch vier Befestigungspunkte über Kreuz auf dem Schiff fixiert. Der Mastfuß steht lediglich in einer kleinen Hülse auf Deck. Die eigentliche Befestigung des Mastes geschieht über sehr straff gespannte Stahlseile. Die seitlichen Stahlseile werden als Wanten bezeichnet, die vorderen und hinteren als Vorstag und Back- oder Achterstagen. Sollte eines dieser Seile brechen, verliert der Mast sofort seine Stabilität. In diesem Moment besteht akute Gefahr, dass dieser samt allen Aufbauten und Segeln umfällt. In unserem Falle hätte das geheißen, dass der Mast ins Cockpit fällt, und uns ggfs. erschlägt.

Von diesem Moment der Erkenntnis an, lief alles wie in einem Film ab und wir funktionierten nur noch. Als erstes riss ich das Ruder herum, um das Schiff vor den Wind zu bekommen. Somit wurde der Mast nach vorne gedrückt, was den beschädigten Vorstag entlastete und die Backstagen durchsetzte. Der Autopilot hielt nun ATON selbständig auf diesem Kurs. Als nächstes galt es, das wild um sich schlagende Vorsegel zu bergen. Michi ging an die elektrische Winsch und ich klickte mich in die Sicherungsleine ein, um sicher auf dem Vordeck arbeiten zu können. Inzwischen hatte es begonnen, stark zu regnen und der Wind frischte deutlich auf. Außerdem wurde es mit jeder Minute dunkler. Vorne angekommen, kroch ich zur Reffeinrichtung der Genua in die Bugspitze. Dabei wurde ich unablässig von den immer noch wild schlagenden Genuaschoten gepeitscht. Ich versuchte, die Seilrolle der Reffeinrichtung mit meinen Händen zu unterstützen. Michi hatte inzwischen die Winsch mit der Reffleine belegt. Nach einigen Sekunden rutschte jedoch die Leine aufgrund der hohen Kräfte durch. Diese entstanden dadurch, dass die obere Führung, also die Verbindung des Stages mit dem Mast, nicht mehr vorhanden war. Michi versuchte nun, die Reffleine auf die deutlich größere Genuawinsch zu legen. Dabei unterlief ihr im Eifer des Gefechts ein Fehler, und die Seilbremse, die immens unter Zug stand, sprang plötzlich aus der Verankerung.

Dennoch gelang es uns nun langsam, die Genua Stück für Stück einzurollen. Durch das wilde Umherschlagen hatte sich die Backbordschot, trotz Achterknotens am Ende, aus der Seilführung befreit und sich mit der Steuerbordschot in ein Gewirr aus Knoten und Leinen vertörnt. Dies barg die Gefahr, dass die losen Leinen ins Wasser fallen und sich in der Schraube verfangen könnten. Während Michi verschte, die Schoten zu bergen und die Knoten zu lösen, musste ich eine Lösung finden, den Mast möglichst schnell nach vorne zu stabilisieren. „Der Babystag“!, fuhr es mir in den Sinn. Gottseidank hatten wir diesen zweiten, kürzeren Vorstag für das Sturmsegel am Mast montiert. „Schnell, hol mir die Spannvorrichtung für den Babystag aus der Backskiste.“, schickte ich Michi ins Cockpit. Währenddessen löste ich das Babystag vom Mast und brachte es in Position, als Michi mir auch schon, auf allen vieren auf dem schaukelnden Deck kriechend, die Spannvorrichtung brachte. Gemeinsam gelang es uns, die Führungsbolzen in dem wild auf und ab stampfendem Schiff zu befestigen. Nach wenigen Umdrehungen spannte sich das Seil. „Uff. Das Rigg ist erstmal gerettet.“. Dennoch befestigte ich zur Sicherheit das Spinnakerfall, eine Leine, die von der Mastspitze kommend zum hissen eines sehr großen Vorsegels gedacht ist, an unserem sehr stabilen Bugkorb. Dieses spannte ich anschließend mit der Winsch straff durch.

Michi
Da ich weder die losen Achterstagen, noch den schwankenden Mast gesehen hatte, war mir das komplette Ausmaß der Gefahr, in der wir uns befanden hatten, gar nicht richtig bewusst geworden. Erst als wir beide wieder im Cockpit waren und uns von diesem Schreck erholten, erklärte mir Franz, dass wir gerade knapp daran vorbeigeschrammt waren, unseren Mast zu verlieren. Hierzu muss man wissen, dass fast jeder Katamaran und auch sehr viele Mono Hulls lediglich eine Want auf jeder Seite haben. Dies hätte in unserem Fall unweigerlich dazu geführt, dass der Mast ins Cockpit gefallen wäre. Lediglich die Tatsache, dass unser Rigg extrem stabil ist, hat uns gerettet. Wir haben nämlich auf jeder Seite vier Wanten, die auch noch sowohl nach vorne, als auch nach hinten abspannen. Somit wurde ein großer Teil der Kräfte des gebrochenen Vorstags von den Wanten aufgenommen. Wieder einmal hatte sich unser Schiff als ausgesprochen stabil und sicher erwiesen. Ich meldete nun unsere Probleme per Funk an das Mutterschiff unseres Konvois. Der Skipper, Mat, wies uns an, bis vor die Marina in Carriacou durchzusegeln, und dort auf die anderen Schiffe zu warten.

Nachdem ich jedoch einige Male das immer noch lediglich am Fall hängende Vorstag wild umher baumeln sah, bat ich Franz: „Lass uns doch bitte versuchen, die Genua komplett aufs Deck zu legen, sonst geht sie uns noch ganz kaputt.“. Gesagt, getan. Wir fierten das Fall und ließen das Vorstag langsam herunter. Dabei verfing es sich jedoch erst einmal in der Backbord Backstag. Nach einigen Versuchen gelang es uns, sie außen vorbei zu führen. Endlich lag sie nun längsseits auf dem Deck und wir befestigten sie mit einigen Leinen an der Reling. Da es jedoch erheblich länger als unser Schiff ist, ragten einige Meter, wie bei einem Langholztransporter, über das Heck hinaus und wippte dort im heftig Rhythmus der Wellen.

Dieses Bild entstand am nächsten Morgen, kurz vor der Einfahrt in die Marina in Carriacou.

Aton bewährt sich, Teil 1

Aton bewährt sich, Teil 1

Michi
Nachdem wir den Corona-Test erfolgreich, also negativ, bestanden haben, lichteten wir am 11.06. morgens um 6.00 Uhr den Anker. Sao ist extra früh aufgestanden, um uns nachzuwinken.

Unser Konvoi bestand aus dem Mutterschiff, einem 38 Fuß-Katamaran, einem weiteren Katamaran und vier Mono-Hulls, also Einrümpfer wie wir. Davon war eine Bavaria mit 34 Fuß die kleinste, die anderen beiden, eine Amel und eine Ketch (also ein Zweimaster) so lang, beziehungsweise etwas länger als wir. Geplant war ein erster Treffpunkt im Süden von St. Lucia, wo auf den langsamsten gewartet werden sollte. Danach ein weiterer Treffpunkt im Süden von St. Vincent. Bei beiden Treffpunkten war es aber streng verboten, den Anker zu setzen, da wir ja die Inseln nicht offiziell besuchen durften. Also solange driften, bis alle da sind. Schon bei der Ausfahrt aus Martinique und den ersten Meilen Richtung St. Lucia stellte sich heraus, dass Dominique mit seiner Bavaria sehr schnell dem Rest des Konvois nicht folgen konnte. Wir hatten einen schönen halben Segel-Wind und refften teilweise die Genua, um beim Konvoi zu bleiben. Gegen Mittag waren wir in St. Lucia, wo wir auf Dominique warteten, der jedoch weit und breit nicht zu sehen war. Sehr weit und sehr breit. Mat, der Chef des Konvois und Skipper des Mutterschiffs, beschloss nach knapp einer Stunde, dass wir drei Mono-Hulls voraus fahren sollten nach St. Vincent. Sein und der zweite Katamaran wollten auf Dominique warten und dann nachkommen, da ein Katamaran von Haus aus schneller ist, als ein Mono Hull. Hier seht ihr uns drei vor den berühmten beiden Pitons in St. Lucia.

Kaum waren wir im Kanal zwischen St. Lucia und St. Vincent gab natürlich jeder der drei Skipper alles, um zu zeigen, was sein Schiff kann. „It`s not a race!“ bläute uns zwar Mat vorher ein, aber das interessierte jetzt keinen mehr. Und ratet mal, wer die anderen sowas von abgehängt hat? ATON segelte auf und davon und die anderen beiden rätselten später, warum. Sie dachten, wie viele vorher auch schon, unser Schiff sei relativ neu, weil es so gut aussieht. Das geht mir jedes Mal runter wie Butter, es zeigt mir, dass sich doch die Plackerei für das Refit in Trinidad wirklich gelohnt hat.

Mit geblähten Segeln rauschte Aton mit 7-9 Knoten Fahrt Richtung Süden, unserem Ziel entgegen. Da alle Mono Hulls AIS (Automatisches Identifikationssystem – dient der Kollisionsverhütung) an Bord hatten, konnten wir unsere Position stets auf dem Plotter verfolgen. In den Tagen zuvor herrschte wenig Wind, weshalb wir auch kaum Welle, also perfekte Segelbedingungen. Von Minute zu Minute vergrößerte sich unser Abstand zum restlichen Konvoi, was wir mit einem breiten Grinsen im Gesicht quittierten. Bei beginnender Dunkelheit zeigten sich plötzlich dunkle Regenwolken über St. Vincent. „Geh mal runter und hol unsere Regenjacken, dann reffen wir vorsichtshalber.“, schickte mich Franz nach unten. Ich ging auch noch schnell auf die Toilette, da ich dies bei schwerem Wetter, bzw. Seegang und mit Regensachen vermeiden wollte. Währenddessen verkleinerte Franz die Segelfläche der Genua ins erste Reff. Die dann folgenden Ereignisse schildert am besten Franz, der in diesem Moment Rudergänger war.

Franz
In tropischen Gewässern ändern sich Wetterbedingungen unglaublich schnell. Die gerade noch weit weg erscheinenden Regenwolken formierten sich immens schnell zu bedrohlichen Wolkentürmen. Der zuvor gleichmäßige Passat änderte sich binnen weniger Minuten in starke und unregelmäßige Windböen. „Michi, schnell, komm rauf. Wir müssen reffen. JETZT.“, rief ich nach unten. „Gleich, ich bin grad auf der Toilette.“, kam es zurück. Als sie nach einer endlos erscheinenden Zeit nach oben kam, hatte uns die Okklusionsfront bereits erreicht. „Geh Du ans Ruder, ich reffe das Großsegel.“. Ich bewaffnete mich mit der Winschkurbel und dem Reffband, pickte mich in die Sicherheitsleine ein und ging zum Mast. Dort angekommen, startete Michi den Motor und stellte das Schiff in den Wind, damit der Winddruck aus dem Großsegel genommen wird. Gerade in dem Moment, als ich das Großfall lösen wollte, um die Segelfläche zu verkleinern, schlugen vehement die Genuaschoten (also die seitlichen Führungsleinen des Vorsegels) nach mir. „Das kannst Du vergessen. Wir müssen erst die Genua bergen.“, rief ich Michi durch das Heulen des Windes entgegen und kletterte wieder ins Cockpit. Was ich dort sah, ließ mir das Blut in den Adern stocken. Hinter Michi baumelten beide Achterstagen haltlos hin und her. Mit einem Ruck drehte ich mich um und blickte nach vorn. Dort sah ich die obere Halterung unseres Vorsegels wild umherbaumeln. Außerdem sah ich unseren Mast gefährlich vor und zurück schwenken. „Um Gottes Willen. Unser Vorstag ist gebrochen!!!“

Fortsetzung folgt

Ein fataler Fehler

Ein fataler Fehler

Michi
Endlich wieder segeln. Es ist so schön und auch ATON hat merklich ihren Spaß daran. Auf einem schönen Halbwind-Kurs geht es Richtung Süden und ATON gibt alles. Wie ein Pfeil schneidet sie durch die Atlantik-Wellen und beschert uns viele Stunden Segel-Spaß pur. Wir sind uns wieder einmal einig, dass wir ein gutes Schiff haben, und unsere Entscheidung für diese Reise genau die richtige war. Wir segeln zur Loup Garou, einer winzigen Sandinsel, auf der nur einige Palmen stehen, und die derzeit wegen der Eiablage von Schildkröten gesperrt ist.

Der Lockdown in Martinique, wo wir fast 6 Monate verbracht haben, war alles andere als unangenehm. Wir haben die wunderschöne und unter Seglern unberechtigterweise gemiedene Ostseite erkundet und supernette und hilfsbereite Menschen kennengelernt. Außerdem konnten wir, dank der Tatsache, dass wohl die gesamte Polizei in der von hunderten Schiffen bevölkerten Buchten von Le Marin und Saint Anne beschäftigt war, die Regeln durchzusetzen, immer mal wieder wandern gehen, schwimmen und uns zeitweise mit dem Schiff bewegen. Ich nutzte jede Gelegenheit, um mich irgendwie zu bewegen. Netterweise durfte ich mir von unseren Nachbarn ein Kajak und ein SUP ausleihen und Ralf gab mir sogar einen Kurzkurs auf seinem Surfboard.

In Le Marin mieten wir uns für drei Tage ein Auto und verbringen den ersten Tag in sämtlichen Schiffszubehör-Läden, Yamaha-Dealern und Bauhäusern, die wir finden. Wir bekommen fast alles und unternehmen am zweiten Tag eine schöne Wanderung zusammen mit Akis, einem Griechen und Sao, einer wunderhübschen Afrikanerin aus Bisao Guinnea, die wir schon in Trinidad getroffen haben. Am dritten Tag fahren wir nach Norden und gehen zusammen mit den beiden den atemberaubenden Sklaven-Trail noch einmal. Auf dem Heimweg passieren wir einen kleinen Wasserfall, von dem aus ein Pfad in den Regenwald führt. Neugierig, wie wir sind, erkunden wir diesen und laufen in einem zauberhaften, fast magisch anmutenden Wald bis zu einer Stelle an einem Bach.

Ringsum hängen Lianen, Borrelien, Orchideen und dicke Flechten von den Bäumen, die Farne und Blätter glitzern von den Wassertropfen des Regens, der gerade erst aufgehört hat, und die Steine im Bach schimmern rötlich durch das glasklare, frische Wasser. Und als sich dann für einige Minuten auch noch die Sonne durch die Regenwolken kämpft, und ihr Licht in glitzernden Bahnen durch das dichte Blätterdach leuchtet, kommen wir uns vor wie mitten in einer Szene von Herr der Ringe, oder Avatar.

Nach diesem wunderschönen Erlebnis ist wieder Arbeit angesagt, und wir verbringen die nächsten Tage in den Tiefen der Fächer, Schaps und des Motorraums von ATON.

Wir haben in Benoire von Sebastien einen gebrauchten, aber sehr gut erhaltenen Außenborder für unser Dinghi gekauft. Franz hat nun endgültig die Nase voll, den alten auf unseren Ausflügen immer wieder auf den schaukelnden Wellen auseinander zu nehmen und zu reinigen. Und ich weigere mich ja sowieso schon länger, alleine mit dem Dinghi zu fahren. Der neue Yamaha bekommt einen Service verpasst, und erfreut uns nun jedes Mal mit seinem unaufgeregten Schnurren und dem zuverlässigen Startverhalten.

Wir verlegen uns in die Nachbarbucht Saint Anne, wo wir direkt neben Barbara und Ralf, einem schweizer Pärchen liegen, die wir in Benoire getroffen haben. Barbara schwimmt genauso gerne wie ich und wir sind dort schon jeden Tag eine Stunde unterwegs gewesen. Auch hier gehen wir, bewappnet mit einer Schwimmboje, die sie hinterherzieht, um nicht von einem Dinghi oder Schiff überfahren zu werden, jeden Tag eine Stunde schwimmen. Ich kann ihr einige Tipps bezüglich der Kraul-Technik geben, und so klappt es ganz gut. Sie mit Flossen und schnell, ich ohne Flossen und langsam. Ralf revanchiert sich mit einem Kurz-Surf-Kurs mit seinem Fortgeschrittenen-Surf-Board bei mir und wir verbringen schöne Abende auf ihrem fast nagelneuen Katamaran. Wieder einmal realisieren wir, dass, egal wie alt und wie teuer ein Schiff ist, wirklich jeder mit einer ellenlangen to-do-Liste unterwegs ist, die irgendwie nie weniger wird.

Ach ja, der fatale Fehler. Er bestand darin, dass wir eigentlich vorhatten, nach unserem „Aton am Haken“ – Abenteuer, das komplette Rigg, also den Mast mit all seinen Aufbauten, Stagen und Wanten, einmal kontrollieren zu lassen. Wir nahmen in der Willi-Bay Kontakt mit einer Rigg-Firma in Le Marin auf und beschlossen, dies anzugreifen, wenn wir in Le Marin sind. Aber irgendwie haben wir das dann ganz aus den Augen verloren und vergessen. Damit hätten wir uns viel Ärger und eine sehr gefährliche Situation erspart, die wir schon bald darauf erlebt haben.

Guter Rat ist teuer

Guter Rat ist teuer

Michi

Inzwischen sind wir nun bereits mehrere Wochen in der Baie du Francoise. Unsere Schiffsnachbarn sind Willi, ein Einheimischer, der mit Veronique, einer Elsässerin, auf einem Katamaran wohnt. Weil er dort seine Wohnung auf dem Wasser hat, nennt er die kleine Bucht „Willi-Bay“. Dann sind da noch unsere alten Bekannten Stefan und Catherine. Das junge, kanadische Paar haben wir bereits vor über einem Jahr in den Turks and Caicos Inseln kennengelernt und heuer in St. Vincent wieder getroffen. Es ist eine nette und sehr hilfsbereite Nachbarschaft. Willi kennt natürlich hier alles und jeden und organisiert uns einen Kastenwagen, mit dem er uns und unsere Segel nach Le Marin zur Segelmacher-Firma bringen kann. Wegen Corona war die Segelwerkstatt geschlossen und wir müssen damit warten, bis Martinique am 11.06. das Öffnen einzelner Läden wieder erlaubt. In der Bucht gegenüber liegen außerdem noch Joscha und Niklas mit ihrer Bavaria „Sailing Naked“. Die beiden jungen Hamburger sind von Deutschland aus über Island und Grönland bis in die Bahamas und Karibik gesegelt. Während eines Abendessens auf Aton erzählen sie uns die spannendsten Geschichten ihrer Reise und die Zeit vergeht wie im Flug.

Während wir auf die Segel warten, fahren wir auch einige Male zwischen die beiden kleinen, vorgelagerten Inseln Ilet Oscar und Ilet Thierry, Benoire genannt. Am Ankerplatz hier, der nur bei Flut durch eine schmale Einfahrt erreicht werden kann, ist das Wasser nur zwei bis drei Meter tief. Wegen des Sandgrundes hat es eine leuchtend türkise Farbe. Beim Schwimmen komme ich mir vor wie in einem riesigen Pool, nur dass ich keine Fliesen zählen, sondern Seegurken, Conches, Seesterne und Fische bewundern kann. Allerdings herrscht auch eine starke Strömung und ich muss gut aufpassen.

Hier seht ihr im Vordergrund die Masten in der Willi Bay (rechts sieht man gerade noch unsere Mastspitze) und im Hintergrund die Benoire.

Ich entschließe mich, das klare Wasser zu nutzen, und Aton mal wieder eine gründliche Bauchreinigung zu gönnen. Mit meiner Taucherbrille, einem Metallspatel und einem Saugnapf, an dem ich mich am Schiff wegen der Strömung festhalten kann, geht es auf Tauchstation. Man glaubt gar nicht, was sich in kürzester Zeit alles an einem Schiffsrumpf festhält. Wir fahren ein eigenes, kleines Riff mit. Eine mitteldicke Schicht Algen und winzige Shrimps, die darin wohnen, viele kleine Muscheln und Seepocken und auch etliche größere Muscheln bevölkern Aton`s Bauch. Immer wieder tauche ich runter und kratze das mit der Spatel ab. Ein ganzer Fischschwarm wartet auf die weggekratzten Leckerbissen, die die Strömung in ihre Richtung treibt. Ich arbeite an zwei Tagen gut 5 Stunden bis alles wieder einigermaßen sauber ist. Vor allem auch unsere Antriebswelle ist nun soweit gesäubert, dass man die fehlende Anode dort wieder anbringen kann, was uns Stefan netterweise abnimmt.

Mit dem Kastenwagen der Kite-Schule von Sebastien, den sich Willi ausleiht, können wir nach Le Marin fahren, um die Segel abzugeben. Dort wartet auch die Anode auf uns, die uns zwischenzeitlich ein anderes deutsches Seglerpärchen besorgt hat, die in Le Marin auf ihre Atlantiküberquerung zurück nach Deutschland warten. Sie haben sich mit noch einem deutschen Paar zusammengetan, deren Schiff huckepack mit einem speziellen Yacht-Transport-Frachter nach Europa gebracht wird. Die nicht unerheblichen Kosten wurden geteilt und zu viert segeln sie nun die ITHAKA über den Atlantik. Da sowohl Bermuda, als auch die Azoren und Kanaren die Grenzen geschlossen haben, ist dies im Moment des Abfahrens ein spannendes Unterfangen. Man muss damit rechnen, ohne Zwischenstopp bis nach Deutschland durchsegeln zu müssen, was mit einer erheblichen Ausweitung der Lebensmittel- und Diesel-Bevorratung einhergeht. Nach langen Diskussionen beschließen wir, dass das aus verschiedenen Gründen für uns momentan keine Option ist. Wir würden immer noch am liebsten nach Trinidad gehen, aber dort sieht es nicht so aus, als würde man in naher Zukunft einreisen, und erst recht nicht ausreisen können. Auch Luperon, ein Hurrikan-Whole in der dominikanischen Republik, wo Freunde von uns sind, ziehen wir in Betracht. Aber auch dort hätten wir momentan das gleiche Problem wie in Trinidad. Unsere Freunde, ein Niederländer und eine Kasachin, versuchen vergebens aus der Dom. Rep. einen Flug zu organisieren und segeln letztendlich als Crew auf einem Katamaran nach Europa zurück. Dann wären da noch die ABC-Inseln Aruba, Bonaire und Curacao, die südwestlich der Karibik außerhalb des Hurrikan-Gürtels liegen. Da es sich um niederländische Kolonien handelt, gibt es ab Juli Flüge nach Amsterdam. Aber da es wenige Marinas gibt, sind die Liegeplätze an Land teuer und es gibt kaum Bojen, wo man das Schiff sicher für längere Zeit liegen lassen kann. In Curacao muss man außerdem nach der Einreise für 14 Tage und 150 USD pro Person und Tag in ein Hotel in Quarantäne. Kommt also auch nicht in Frage. Es ist relativ einfach für Europäer aus Martinique nach Paris zu fliegen, denn das ist ja ein Inlands-Flug. Aber das würde auch heißen, das Schiff im Hurrikan-Gebiet zu lassen, was wir definitiv nicht unbeaufsichtigt machen. Wir überlegen, ob ich zurückfliege, und Franz auf ATON bleibt, um einem ggfs. herankommendem Hurrikan davon zu segeln. Das machen tatsächlich viele Segler, da man einige Tage Zeit hat, bis der Hurrikan kommt, um nach Süden auszuweichen. Wir überlegen hin und her und warten Woche um Woche, ob es irgendwelche Lockerungen der Einreisestopps in den südlichen Inseln gibt, oder ob die Flüge wieder gestartet werden. Kaum haben wir uns für eine Destination entschlossen, hören wir am nächsten Tag wieder irgendwelche Neuigkeiten und ändern unseren Plan wieder. Die Ungewissheit zermürbt uns und die Gedanken kreisen immer wieder um dieses Thema.

Endlich hören wir, dass man nun in Grenada einreisen darf, wenn man dort auf dem Schiff für 14 Tage in einem genau ausgewiesenen Gebiet in Quarantäne geht. Dort rollt das Schiff zwar ständig, weil es keine richtige Bucht ist, aber man wäre immerhin im relativ hurrikan-sicheren Süden. Dann bleibt aber immer noch das Problem, dass keiner weiß, ob und wann es von dort möglich ist, auszufliegen. Wir melden uns vorsichtshalber mal an, und bekommen ein Zeitfenster vom 24. Bis 25. Juni mitgeteilt, wo wir kommen dürfen (es dürfen immer nur eine bestimmte Anzahl von Schiffen pro Woche kommen). Wir überlegen, ob ich aus Martinique zurückfliege und Franz alleine nach Grenada geht, und dort auf Flüge wartet. All unsere Pläne sind nicht wirklich optimal und wir überlegen und diskutieren endlos. Eines Tages hören wir aber dann plötzlich vom Plan Carriacou`s, Schiffe aus Martinique mit einem kontrollierten Konvoi aus maximal 6 Schiffen mit einem Begleitschiff einreisen zu lassen. Man muss vorher einen Coronatest machen und hat in Carriacou 10 Stunden Zeit, das Schiff aus dem Wasser zu holen, und für die Lagerung vorzubereiten. Dann geht es mit dem Begleitschiff am gleichen Tag wieder nach Martinique zurück. Das ist beinahe perfekt für uns, denn Carriacou ist zwar offiziell noch im Hurrikan-Gürtel, liegt aber nördlich von Grenada und somit relativ weit im Süden. Außerdem können wir ohne Weiteres von Martinique aus nach Europa fliegen. Wir melden uns gleich mal in der Marina in Carriacou an und buchen einen Flug am 16. Juni. Jetzt haben wir endlich einen Plan und sind unendlich erleichtert.

Nachdem wir unsere Segel wieder abgeholt und montiert haben, sind die Tage (eigentlich waren es Wochen) in Willi-Bay gezählt, da wir nach Le Marin aufbrechen müssen. Dort haben wir noch einiges zu erledigen und der Konvoi wird vom benachbarten Saint Anne starten. Wir verabschieden uns von Willi und Veronique, Stefan und Catherine sind ebenfalls nach Le Marin gesegelt, um dort Ersatzteile zu besorgen. Ein letztes Mal übernachten wir noch in der paradiesich-karibischen Benoire und setzen dann unsere Segel, neuen Abenteuern entgegen.

Lock down im Paradies

Lock down im Paradies

Franz

Puh, das war wirklich knapp. Vollkommen erledigt saßen wir in unserem Cockpit und erholten uns langsam von unserer strapaziösen und nervenzehrenden Fahrt. Wir hatten den Anker hinter einer kleinen Insel in der Bucht von Le Francoise fallen gelassen. Nun leckten wir erst mal unsere Wunden und reflektierten, was passiert war. Trotz der Schäden an unserem Schiff hatten wir eindeutig sehr viel Glück. Wir waren am Leben und außerdem in Sicherheit. Wenn bei diesen waghalsigen Manövern einer von uns über Bord gegangen wäre, nicht auszudenken.

Dennoch hatten wir nun zwei Probleme zu lösen. Zum einen musste schnellstens das Seil, welches sich um unseren Antriebspropeller gewickelt hatte, entfernt und der gesamte Antriebsstrang auf Schäden geprüft werden. Zum anderen musste das Hauptsegel repariert und unser Rigg auf Schäden geprüft werden. Hierbei hatten wir das Problem, dass durch bestehende Ausgangsbeschränkung bezüglich der Corona-Epedemie, die Handwerksbetriebe geschlossen hatten.

Da sich unsere Antriebsschraube in circa einem Meter Tiefe befindet und die Leine sich erheblich vertörnt hatte, kam aufgrund meines geringem Lungenvolumens schnorcheln nicht in Frage. Da aber in unserer unmittelbaren Nähe die „Cohort“ ankerte und ich wusste, dass deren Besitzer Stefan und Kathrin begeisterte Taucher sind, hegte ich die Hoffnung, von den beiden Hilfe zu bekommen. Wir hatten das nette Pärchen bereits letztes Jahr in den Turks kennen gelernt. Und während Michi und ich gerade überlegten, ob wir mit dem Dinghi zu ihnen fahren sollten, sahen wir die beiden in Gleitfahrt in ihrem Beiboot auf uns zukommen. Nachdem wir uns herzlich begrüßt hatten, wanderte Stefans Blick auf unser, in Fetzen aus unserem Lazy-Bag heraushängenden, Hauptsegel. „Was ist denn euch passiert?“, fragte er uns. Wir erzählten den beiden unser Erlebnis. Nachdem wir geendet hatten, sahen uns die beiden mit großen Augen an. „Da habt ihr aber riesiges Glück gehabt“, sagte Stefan. „Soll ich mir die Sache mit der Leine im Propeller einmal anschauen?“, fragte er. „Das wäre wirklich toll von dir.“, entgegnete ich und konnte meine Erleichterung kaum verbergen. „Wir bringen nur schnell unsere Einkäufe auf unser Schiff und verstauen sie. Ich bin in 10 Minuten wieder da“. Und schon brausten sie zu ihrer „Cohort“. Kurze Zeit später hatte Stefan die Leine herausgewickelt und uns übergeben. „Soweit ich sehen kann, ist alles in Ordnung. Einzig eure Anode an der Hauptwelle ist lose. Die solltet ihr schleunigst erneuern“, sagte uns Stefan. Wir tranken noch gemeinsam ein Bier und wir luden die beiden für einen der kommenden Abende zum Dank zum Essen ein.

Da Martinique in den folgenden Tagen die Restriktionen wegen Corona mehr und mehr erweiterte, war es offiziell nicht mehr möglich, sich an Land oder mit dem Schiff im Wasser zu bewegen. Wir saßen in unserer Ankerbucht fest und wurden einige Male von einem Militär-Hubschrauber registriert. Da jedoch das Gros aller Segler in der im Westen Martinique`s gelegenen Bucht Le Marin lag, hatte die Küstenwache dort alle Hände voll zu tun, um die Regeln zu überwachen.

Weil die Ostseite, auf der wir uns befanden, dem Atlantik zugewandt ist, kursiert die Meinung unter den Seglern, dass dort die Atlantikwellen für steten Schwell sorgen und in den Ankerbuchten somit mit ständigem Rollen des Schiffes zu rechnen ist. In Wahrheit wurden die Atlantikwellen allesamt durch die auf der ganzen Ostseite vorgelagerten Riffe gebrochen, und die Ankerplätze sind ungewöhnlich ruhig. Außerdem waren extrem wenige Schiffe unterwegs, weswegen die Überwachung durch die Küstenwache auch sehr lax war. Somit hatten wir alles richtig gemacht.

 

Aton am Haken Teil 2

Aton am Haken Teil 2

Franz

Ich stand wie paralysiert da und konnte nicht glauben was ich sah. Wir trieben mit einer blockierten Antriebswelle, in der sich das Seil einer Fischreuse eingewickelt hatte, zwischen einer Unzahl von Riffen und hatten nun zu allem Überfluss auch noch ein zerrissenes Hauptsegel, welches sich flatternd in den Salingen verfangen hatte. Michaela stand wie angewurzelt neben mir und war ähnlich schockiert wie ich. Allmählich löste sich unsere Schockstarre und wir überlegten zusammen, welche Optionen wir hatten. Aton ist ein Sloop getakeltes Segelschiff. Somit hatten wir immer noch unser Vorsegel. Um manövrierfähig zu werden, mussten wir als erstes die Genua setzen. Michi ging an die Steuerbordwinsch und begann dort das Vorsegel zu entrollen, während ich die Bremse der Reffeinrichtung der Genua löste. Als der von Backbord einfallende Wind begann, das Vorsegel zu entfalten, machte ich die Blockbremse zu. Das Genua hatte sich zur Hälfte seiner Größe ausgerollt. Diese Segelfläche sollte reichen, um uns den nötigen Vortrieb zu geben. Langsam begann Aton Fahrt aufzunehmen. Als nächstes setzten wir einen sicheren Kurs und schalteten unseren Autopiloten ein. Nachdem wir sichergestellt hatten dass wir auf keine Untiefe liefen, setzten wir uns und orientierten uns auf der Seekarte unseres Plotters. „Wir müssen unbedingt eine sichere Bucht anlaufen“ sagte Michi. Ich stimmte ihr zu, während wir uns die Karte betrachteten. „Die Baie du Francois ist nicht mehr sehr weit“, sagte Michi und zeigte auf die Bucht. Wenige Tage vorher hatten Stefan und Cathrin von der Cohort uns geschrieben. Sie waren in diese Bucht gefahren und ankerten seitdem hier. Beide beschrieben uns die Bucht als sehr sicher. Außerdem sind im nahen Ort sehr gute Einkaufsmöglichkeiten. Schnell waren wir uns einig. Aber um dahin zu gelangen mussten wir eine enge Riffpassage durchqueren und einige Untiefen umfahren. „Das kann ja heiter werden“, sagte ich.

Wir planten minutiös die nächsten Schritte. Wir wussten, wir konnten uns keine Fehler erlauben. Als erstes mussten wir durch den vorgelagerten Riffgürtel, um die enge Passe du Francois im richtigen Winkel ansteuern zu können. Diese Durchfahrtsmöglichkeit war der Passe du Nord. Ein Blick auf die Karte ergab, dass wir schnell handeln mussten, da wir ansonsten auf eine Untiefe zutreiben würden. Gesagt getan, ich stellte am Autopiloten den neuen Kurs ein und beobachtete wie das Schiff reagierte. Wir hielten den Kurs des Schiffes im Auge. Nach einer Weile bemerkten wir, dass Aton eine ziemlich große Abdrift hatte. „Mist, wir haben vergessen, unseren Kiel abzusenken“, sagte ich und öffnete rasch unsere backbord Backskiste, um die Kielhydraulik zu betätigen. Nachdem der Kiel nun voll ausgefahren war, kontrollierten wir abermals unseren Kurs. Und siehe da, die Abdrift war deutlich geringer. Dennoch kamen wir dieser Untiefe bedrohlich nahe. Ich schaltete den Autopiloten aus und steuerte per Hand, während ich permanent auf den Plotter sah. Ein Blick auf die uns umgebende Wasseroberfläche bestätigte uns, wie nahe wir dem Riff waren (man sieht Untiefen, da sich dort die Wellen beginnen zu brechen). Quälend langsam passierten wir Meter für Meter die Riffdurchfahrt. Ständig wechselten wir unseren Blick zwischen Seekarte, Tiefenmesser und der Wasserfläche. Und plötzlich begann der Meeresgrund wieder stark abzufallen. Die erste kritische Stelle hätten wir geschafft. Nachdem wir uns wenige hundert Meter von der Untiefe entfernt hatten, änderten wir abermals den Kurs nach Süden und trimmten unser Vorsegel. Wir überprüften die Peilung zwischen zwei Riffen und programmierten dementsprechend unseren Autopiloten. Jetzt hieß es warten. Michi und ich nutzten die Zeit, um unsere weiteren Schritte zu koordinieren. Um die nächste, sehr enge Riffpassage Passe du Francois zu bewältigen, mussten zwei weitere Kursänderungen vollzogen werden. Wir besprachen, wer wann was zu tun hätte und entwickelten auch den berühmten Plan B, falls Plan A nicht funktionieren würde.

Obwohl sich Aton mit nur 3 – 4 Knoten relativ langsam fortbewegte, verging die Zeit durch unsere Vorbereitungen wie im Fluge. Als wir das letzte Riff vor der Einfahrt in die Bucht querab passierten, lagen die beiden Fahrwassermarkierungen des Passe du Francois schräg vor unserem Bug. Um einen besseren Winkel für die Durchfahrt zu bekommen, mussten wir nun schnell den Kurs etwas westlicher korrigieren um nach wenigen hundert Metern wieder auf Süd Kurs zwischen die Fahrwassertonnen einzuschwenken. Michi und ich waren hochkonzentriert. Kurs halten, Segelstellung prüfen, Tiefe und das Fahrwasser beobachten, diese Tätigkeiten beanspruchten unsere volle Aufmerksamkeit. Plötzlich, gerade in dem Moment als wir die grüne Fahrwasseransteuerung querab hatten, fuhr eine kräftige Windböe in unser Vorsegel. Völlig überrascht blickte ich über meine Schulter in östliche Richtung. Ich glaubte meinen Augen kaum. In unmittelbarer Nähe unseres Schiffes hatte sich eine Gewitterfront gebildet. Riesige Wolkentürme bauten sich bedrohlich hinter uns auf. „Bleibt uns denn heute nichts erspart“, rief ich Michi zu. „Bitte hole unsere Regenjacken, ich bleibe am Ruder“. Wenige Sekunden später kam Michi mit den Jacken den Niedergang hoch. Ich hatte zwischenzeitlich meine Rettungsweste abgelegt. Nachdem ich den Autopiloten aktiviert hatte, zog ich zuerst die Regenjacke und anschließend wieder meine Rettungsweste an. In Erwartung eines nahenden Gewittersturmes fuhren wir unter allerhöchster Anspannung durch dieses Nadelöhr. Die engstehenden Fahrwassertonnen und die links und rechts von uns brechende See machten uns beide bewusst, wie wenig Platz uns für das Navigieren zur Verfügung stand. Langsam glitt Aton durch die Passage. Während wir uns immer mehr der roten Tonne näherten, welche das Ende der Durchfahrt markierte, machten Michi und ich uns bereit für die nächsten Kursänderungen.

Endlich hatten wir es geschafft. Die Ansteuerungstonne hatten wir passiert. Nun hieß es „neuer Kurs 210° Raumschot“. Aber ein Blick auf die Karte zeigte uns, dass die Gefahr noch lange nicht vorbei war. Drei Manöver mussten wir noch überstehen, bei denen alles Mögliche schieflaufen konnte. Zuerst mussten wir nach einer gewissen Segelstrecke eine Halse machen, um das gegenüberliegende Ufer zu erreichen. Dabei war es sehr wichtig, den richtigen Moment für dieses Manöver abzuwarten. Machten wir die Halse zu früh oder zu spät, dann würden wir auf ein Riff laufen oder wir würden an unserem Ziel (eine vor Wind und Welle geschützte Bucht) vorbeisegeln und hätten keine Chance, diese zu erreichen. Dank unseres gerefften Vorsegels näherten wir uns langsam unserem Manöverpunk. Ständig peilten wir unsere Bucht an. Frühzeitig besetzten wir unsere Positionen und sprachen das bevorstehende Manöver in den Einzelheiten durch. Dann war es soweit. Während Michi an der belegten Winsch darauf wartete, die Vorschot loszuwerfen, begann ich langsam, das Ruder nach Steuerbord zu bewegen. Als dann das Heck der Aton durch den Wind lief, warf Michi die Schot auf und ich begann die Backbordschot überzuholen. Das Manöver ging wie geschmiert und ich fing mit dem Ruder unser Schiff wieder ein. Gespannt blickten wir beide auf unsere Seekarte und verfolgten die Kurslinie. „Das sieht sehr gut aus“, freute ich mich. Wir navigierten genau zwischen den beiden Untiefen hindurch auf unsere Bucht zu.

Jetzt blieben noch zwei Dinge zu tun. 1. Wir mussten im richtigen Winkel in die Bucht einfahren um in der windabgewandten Seite zum Stehen zu kommen (Aufzuschießen). 2. Wir mussten auf unbekanntem Meeresgrund den Anker werfen und beten, dass dieser hält. Würde der Anker nicht halten, dann würde uns der Wind auf das gegenüber liegende Ufer treiben.

Langsam näherten wir uns unserer Bucht. Ein Blick zum Himmel und ich war erleichtert. Wenigstens das Gewitter hatte ein Einsehen mit uns und zog vorüber ohne sich über uns zu entladen. Wir nutzten die Zeit und bereiteten den Anker vor. Dann sprachen wir das bevorstehende Manöver in allen Einzelheiten durch. Auch nur der kleinste Fehler hätte fatale Folgen. Während Michi sich am Bug bereitmachte, den Anker fallen zu lassen, machte ich mich fertig. Nach dem Einlenken des Schiffes, um die Fahrt gegen den Wind abzubremsen, musste ich im Anschluss sofort das Segel bergen. Zum einen würde sonst das flatternde Segel Michi beim Ankermanöver gefährden, zum anderen hätte der Wind mehr Angriffsfläche um Aton bei einem slippenden Anker auf Grund zu setzen. Der Adrenalinspiegel stieg wieder einmal in das Unendliche. „Bereit zum Anker setzen“, frage ich meinen First Maid. „Klar zum setzen des Ankers“, kam eine unsichere Stimme zurück. Ich wusste, Michi ging es genauso wie mir. Just in dem Moment, als wir die Landzunge der Bucht erreichten und in die Windabdeckung einfuhren, drehte ich unser Schiff in den Wind. Langsam quittierte Aton meinen Kurs. Das Vorsegel begann einzufallen. Nun gab ich die Vorschot frei und begann so schnell wie möglich, das Segel über die Rollreffanlage zu bergen. Im Augenwinkel nahm ich wahr, wie Michi den Anker fallen ließ. Sowie das Segel eingerollt war, sahen wir beide gespannt ins Wasser und peilten das umliegende Ufer, um zu erkennen, wie sich unser Schiff verhielt. Träge begann Aton, vom Wind geschoben, die sich am Meeresgrund befindliche Ankerkette zu strecken. Ich signalisierte Michi, dass an der Stelle, an der unser Anker fiel, sechs Meter Wassertiefe angezeigt wurde. Als Aton die Kette gestreckt hatte, begann sie sich nach dem Wind auszurichten. Das war ein gutes Zeichen. Michi gab nun noch mehr Kette, bis circa 40 Meter ausgebracht waren. Wieder warteten wir. Als nun erneut unser Schiff im Wind lag, machten wir angespannt eine Querpeilung. Dabei kann man feststellen, ob sich das Schiff bewegt. Die Minuten verstrichen, aber Aton blieb stoisch an ihrem Platz. Nachdem auch ein paar Windböen unser Schiff trafen und keine Abdrift Bewegung erkennbar war, ließ die Anspannung nach. Wir fielen uns beide in die Arme und gratulierten uns zu unserer glücklichen Ankunft.

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Zur Belohnung öffnete ich uns beiden ein kaltes Bier. Während wir im Cockpit saßen und unser Bier genossen, realisierten wir erstmals, wie müde und abgekämpft wir waren. Somit beschlossen wir, uns auszuruhen. Da wir hier vorerst sicher zu liegen schienen, konnten wir uns um alles andere später kümmern. In diesem Moment waren wir einfach nur glücklich, dieses Abenteuer überstanden zu haben.

Aton am Haken Teil 1

Aton am Haken Teil 1

Franz

Nachdem wir nun einige Tage in der Baie du Tresor verbracht haben und Michi alle Wanderwege im angrenzenden Naturschutzgebiet erkundet hatte, hieß es „Anker auf“. Da wir wieder unseren Süßwasservorrat in den Tanks auffüllen mussten und mittlerweile die einzige Jacht in dieser Bucht waren (die anderen Jachten hatten nach und nach die Bucht in unterschiedliche Richtungen verlassen), hatten wir uns entschlossen, eine neue Ankerbucht anzulaufen. Die Polizei hatte uns vor einigen Tagen registriert und uns unterwiesen, dass wir die Baie du Tresor nur zum Einkaufen verlassen dürfen und danach sofort wieder an unseren Ankerplatz zurückkommen müssen. Für den Fall, dass wir von den Sicherheitsbehörden kontrolliert werden würden, hatten Michi und ich uns Erklärungen einfallen lassen, die das Ankern in einer anderen Bucht als notwendig Maßnahme begründet hätte. Nach einem ausgiebigen Frühstück machten wir unser Schiff zum Auslaufen klar. Als alles verstaut, die Luken geschlossen, das Dinghi und die Badeleiter befestigt und das Cockpit aufgeräumt war, schaltete ich die Instrumente ein. Michi startete die Hauptmaschine und ich ging zum Anker. Meter für Meter holten wir die Ankerkette ein. Mit Mühe schaffte es unsere Ankerwinsch den sorgfältig eingegrabenen Anker aus dem Meeresgrund auszubrechen. Ich gab das Kommando „Schiff ist frei“ und Michi navigierte mit langsamer Fahrt Aton durch die enge Einfahrt zwischen den vorgelagerten Riffen aus der Bucht ins tiefere Wasser. Sowie wir das letzte Riff passiert hatten schlug uns eine kurze und steile Atlantikwelle entgegen. Damit wir genügend Wasser in unsere Tanks füllen konnten, entschlossen wir uns, für mindestens zwei Stunden mit dem Motor gegen den Wind in östliche Richtung hinaus in den Atlantik zu fahren. Da der Wassererzeuger mehr als 900 Watt benötigt, nutzten wir die starke Lichtmaschine unseres Motors zur Stromerzeugung.  Sowohl Wind als auch Welle standen exakt gegen uns. Wir dümpelten mit gerade einmal 2 – 3 Knoten Fahrt dahin. Als wir eine Wassertiefe von mehr als 25 Metern erreichten, schaltete ich den Wassermacher ein und begann damit, Süßwasser in unsere Tanks zu pumpen. Obwohl wir uns nun in tieferem Wasser befanden, mussten wir dennoch hochkonzentriert navigieren. Zum einen befinden sich entlang der komplette Ostküste Martiniques viele Untiefen und vorgelagerte Riffe, zum anderen legten Fischer genau zwischen den Riffen immer wieder Netze und Fischreusen aus. Die kleinen Schwimmer dieser Fischfangeinrichtungen sind zwischen den Wellenkämmen oftmals sehr schwer auszumachen. Nach zwei Stunden quälend langsamer Fahrt in einer ruppigen See setzten wir unser Hauptsegel und nahmen südlichen Kurs. Ich schaltete den Wassermacher ab und anschließen besprachen wir im Cockpit, welche Buch wir als nächstes anlaufen würden.

Wir waren gerade beim Studieren der Seekarte auf unserem Tablet als ich im Augenwinkel eine Bewegung im Wasser wahrnahm; ein Schwimmkörper einer dieser vermaledeiten Fischreusen. Ich stürzte mich auf den Gashebel am Steuerstand und drückte diesen in die Neutralposition, damit die Antriebswelle ausgekuppelt wurde. Danach richtete ich den Blick zurück auf den Schwimmkörper. Meine schlimmste Befürchtung bewahrheitete sich. Die beiden Plastikflaschen mit der Fischerleine begannen unserem Schiff zu folgen. Und es kam noch schlimmer. Urplötzlich verlangsamte sich unsere Fahrt und Aton stoppte auf. Das Ding ist am Meeresgrund verankert! Diese Erkenntnis traf mich wie ein Schlag. So eine Sch….e! Aton zerrte an dem fingerdicken Seil und spannte es, aber wir kamen nicht frei. Im nächsten Moment wurde mir bewusst, dass wir nach wie vor unter Segel fuhren. „Mist!“, schrie ich und hechtete durch unser Cockpit. An der Winsch für die Großschot angekommen, steckte ich die Winschkurbel auf und drehte wie ein Verrückter mit all meiner Kraft in höchster Eile, um die Großschot dicht zu ziehen.

Hier muss ich für alle Nichtsegler erklären, dass wir kurz vor diesem Ereignis auf einem Halbwindkurs unterwegs waren. Sprich, der Wind kam in etwas 90 Grad querab unserer Fahrtrichtung. Da wir nun von besagtem Seil gehalten wurden, richtete sich unser Schiff mehr und mehr nach dem Wind aus. Das bedeutet, dass der Windeinfallwinkel immer mehr nach hinten (achtern) auswanderte. Damit bekamen wir die Gefahr einer unfreiwilligen Halse. Bei den vorherrschenden mehr als 20 Knoten Wind würden wir dadurch unseren Großbaum sowie unsere Großschot zerstören. Das Bergen unseres Großsegels war unter den gegebenen Umständen ebenfalls nicht möglich, da beim Fallanlassen unserer Großfall sich das gelattete Großsegel in den Salingen des Mastes verfangen hätte, und wir danach mit ausgebreitetem Großsegel platt vor dem Wind hängen würden. Die Folgen wären nicht absehbar gewesen.

Zentimeter für Zentimeter gelang es mir nun, den Großbaum in die Mittellage zu bringen. Als dann Aton durch den Wind ging ruckte der Großbaum mit einem Schlag nach Backbord. Aber da ich den Weg stark verkürzt hatte, ging dies ohne einen Schaden zu erleiden. Da diese Gefahr nun vorerst gebannt war richtete ich nun meine ganze Aufmerksamkeit auf das Seil der Fischreuse.

Am Heck des Schiffes angekommen sah ich mich nun dem Problem ausgesetzt, dass das Seil der Reuse circa 1,5 Meter unter der Wasserlinie war. Außerdem schlug beständig eine im Mittel ein Meter hohe Atlantikwelle auf unsere Badeplattform. Das hört sich im ersten Augenblick nicht sehr dramatisch an, aber jede 10. Bis 15. Welle war dann mit bis zu 1,6 Meter deutlich höher. Das Heck von Aton hob sich an und krachte im nächsten Moment in das Wellental um danach wieder in die Höhe katapultiert zu werden. Ich besah mir die Situation und wog meine Möglichkeiten ab. Der erste Gedanke war; spring ins Wasser und schneide das Seil ab. Aber unter den gegebenen Umständen wäre das der glatte Selbstmord. Ich würde zum einen mit hoher Wahrscheinlichkeit von meinem eigenen Schiff erschlagen werden, zum anderen würde ich eine „Mann über Bord-Situation“ provozieren. Gelänge es mir das Seil durchzuschneiden, würde Aton vom Wind getrieben sofort davonfahren und mich sehr wahrscheinlich zu Tode hinterherschleppen. Somit kam dies für uns nicht in Frage. Ich musste irgendwie dieses vermaledeite Seil an die Wasseroberfläche bringen. Ich nahm mir einen Bootshaken  und versuchte an das Seil heranzukommen.
Da wir beide bereits unsere Rettungswesten angelegt hatten, piekte ich meine Rettungsleine an der Reling ein und lehnte mich über den Rand der Badeplattform. Dabei hob und senkte sich das Heck Atons im Rhythmus der heranrauschenden Wellenberge. Nach etlichen Versuchen gelang es mir schließlich, mit dem Bootshaken das Seil zu greifen. Mit aller Kraft zog ich nun daran. Plötzlich ein Ruck und ich flog an die Heck Reling. In meiner Rechten hielt ich den Gummigriff unseres Bootshakens. Den Rest sahen wir nach und nach im Meer versinken. Nun hatten wir nur noch einen Ersatzbootshaken an Bord. Mir war schlagartig bewusst, dass die Zugkraft auf das Seil für mich viel zu hoch war, um mit meiner Hand dieses Seil an Bord hieven zu können. Aber wie sollte ich das bewerkstelligen. Da hatte ich den rettenden Einfall. Ich kramte aus dem Dinghi-Fach den Anker unseres Schlauchbootes hervor.
Die Seil-öse hatte einen Durchmesser von 10 Millimeter. Nun nahm ich ein ebenso dickes Seil, fädelte es durch und verknotete es mit einem Palsteeg. Das andere Ende band ich an die Reling. Nun ließ ich den Anker neben dem Fischerseil sinken und zog dann an. Ich spürte den Wiederstand, geschafft.

Nun übergab ich die Leine an Michi. „Leg es über die Backbordwisch und zieh das Seil hoch“.  Michi nahm die Leine des Dinghi-Ankers und belegte damit die elektrisch betriebene Winsch. Dann betätigte sie den Knopf. Nach ein paar Umdrehungen spannte sich die dünne Leine bedenklich bis sie an der Klemmeinrichtung der Winsch durchzurutschen begann. Ich schrie „Halt, sonst reißt uns der Bänsel“. Michi stoppte augenblicklich. Wir besahen uns das Resultat. Das Seil, welches uns fest hielt, war nun nur noch einen knappen Meter unter der Wasseroberfläche, aber immer noch zu tief, um es abzuschneiden. Wir brauchten ein stärkeres Seil. Ich nahm eine unserer Festmacherleinen und band das eine Ende an die Reling. Am Ende fertigte ich eine Schlaufe mit einem Palsteeg. Dieser Tampen war schwer. Ich ließ ihn nun neben der Fischleine absinken. Mit dem letzten, uns noch verbliebenen, Bootshaken fischte ich in der brodelnden See nach dieser Schlaufe. Während dieser Aktion hielt mich Michi zusätzlich an meiner Rettungsweste, damit ich nicht über Bord gehen konnte. Genau in diesem Moment tauchte Aton in ein tiefes Wellental um im nächsten Augenblick von einer besonders hohen Welle überspült zu werden. Mir riss es fast die Beine weg. Aber ich konnte mich mit meiner freien Hand an der Reling festhalten. Ich machte einen neuen Versuch und plötzlich hatte ich die Schlinge. Sofort holte ich sie auf und belegte damit die Steuerbordwinsch. Wieder zog die Winsch an und dieses Mal gelang es uns, das Fischerseil näher an die Wasseroberfläche zu befördern. Geschafft, aber jetzt schnell abschneiden. Zuerst band ich ein Messer an den Bootshaken und versuchte so, das Seil abzuschneiden.
Nach ein paar Minuten gab ich dieses Vorhaben auf, denn es klappte nicht. Dann besann ich mich und holte unseren Wantenschneider (eine handelsübliche Bolzenschere) aus der Backskiste. Damit bewaffnet lehnte ich mich nochmals über Bord und wartete die richtige Welle ab. Als sich das Heck Atons wieder einmal tief in ein Wellental absenkte, setzte ich beherzt die Bolzenschere an und presste beide Betätigungshebel gegeneinander. Mit einem peitschenden Knall gab uns die Reuse frei. Endlich, geschafft! Michi und ich fielen uns in die Arme. Wir küssten uns und klatschten uns ab. Die beiden Plastikflaschen, die als Schwimmer für die Fischerleine dienten und der Teil der Leine, welche sich immer noch an unserer Antriebsschraube befand, folgten nun unserem Schiff und erinnerten mich schmerzlich daran, dass wir nur noch segelnder Weise eine schützende Bucht anlaufen konnten. Jetzt hieß es, rechtzeitig einen Kurs zu stecken. Wir verließen die Badeplattform und durchquerten unser Cockpit, um unser Hauptsegel in die richtige Stellung zum Wind zu bringen. Als ich einen Blick auf unser Rigg warf, konnte ich im ersten Moment die Szenerie, die sich mir bot, erst nicht deuten. Als mir aber klar wurde was ich jetzt sah, traf mich die Erkenntnis wie ein Schlag ins Gesicht. Unser Hauptsegel war mitten durchgerissen!

Fortsetzung folgt.

Baie de Galion

Baie de Galion

Michi

Als unsere Obst- und Gemüsevorräte zu Ende gegangen waren, und auch unsere leeren Wassertanks mal wieder eine Auffüllung benötigten, beschlossen wir, eine Runde im Atlantik zu drehen, und in der nächsten, großen Bucht, Baie de Galion, zu ankern. Dort befindet sich der Supermarkt, in dem wir schon eingekauft hatten, als wir noch in der Baie La Trinite waren. Der Ankerplatz war jedoch sehr weit vom Supermarkt entfernt, und am nächsten Tag ging es dann mit dem Dinghi über die ganze Bucht. Wir konnten den Supermarkt vom Wasser aus nicht sehen, nur einen kleinen Strand, an dem wir, wegen der auflaufenden Brandung, mit Müh und Not anlanden konnten. Ich fragte zwei einheimische Frauen nach dem Supermarkt, und sie zeigten uns, sehr hilfsbereit, den Weg. Wir beschlossen, zuerst einzukaufen, und danach das Dinghi, das inzwischen sicher an einer Palme festgemacht und verschlossen war, zu holen, um einzuladen. Die Schlange am Supermarkt war ähnlich lang wie letztes Mal, und Franz ging derweil zur Tankstelle, um dort eine europäische Propangasflasche zu kaufen. Leider gibt es nämlich auf ATON nur ein amerikanisches Propangasflaschen-System (ähnlich wie es beim Landstrom war), und wir haben hier keine Möglichkeit, die Flaschen hier auffüllen zu lassen. Da wir damit rechnen, noch einige Wochen hier festzusitzen, müssen wir also Vorsorge treffen, wenn unsere Flaschen leer werden. Auch wollten wir viele Lebensmittel auf Vorrat kaufen. Man weiß ja nie.

Wir brauchten Stunden, bis wir endlich alle Einkäufe und Erledigungen gemacht hatten, und schleppten unsere Einkäufe und die 12 kg – Gasflasche zum Strand, der gottseidank direkt hinter dem Parkplatz des Supermarktes war. Franz ging am Strand zum Dinghi zurück, um es zu holen. Er schaffte es aber partout nicht, das Dinghi gegen die Brandung soweit ins Wasser zu schieben und zu paddeln (mit dem einen Paddel), bis er den Außenborder in Wasser klappen, und anmachen konnte. Immer wieder kam eine große Welle, und schmiss das Dinghi auf den Strand zurück. Als ich realisierte, dass es so nicht klappt, ließ ich unsere Einkäufe unbeaufsichtigt, und lief den Strand hinunter, um ihm zu helfen. Wir mussten das Dinghi zuerst einmal leer lenzen, weil es von den brechenden Wellen mittlerweile ziemlich vollgelaufen war. Dann half ich, es zügig ins Wasser zu schieben, und dieses Mal klappte es. Ich lief zurück, und Franz landete dort an, wo unsere Einkäufe standen. Wir beluden das Dinghi, und hatten anschließend kaum mehr Platz, wo wir selber sitzen konnten. Zu zweit klappte das Ablegen nun relativ gut. Wir schoben das Dinghi ins Wasser, ich hechtete rein, und begann sofort, zu paddeln. Franz schmiss derweil den Motor an, der auch brav ansprang. Nun ging es, natürlich wieder voll gegen den Wind und die Wellen zurück. Was soll ich sagen; als wir endlich da waren, stand das Salzwasser im Dinghi fast bis an den Rand. Die Wellen waren immer wieder ins Dinghi gebrochen. Wir hatten unterwegs sogar schon den Stöpsel gezogen, um das Wasser zu lenzen (also rausfließen zu lassen). Wir beide waren bis auf die Haut nass, und konnten unterwegs teilweise nur ahnen, wo es ungefähr hingeht, weil die Salzgischt ständig ins Gesicht und in die Augen gesprüht war. Unsere Einkaufstaschen standen alle im Salzwasser, und wir befürchteten schon das Schlimmste. Als wir alles sicher auf ATON umgeladen hatten, begannen wir, auszupacken. Wir hatten Glück, und konnten das Meiste mit Süßwasser abwaschen. Nur einige Eier waren bei dem Gewackel kaputt gegangen, und das ein- oder andere war voll Salzwasser gelaufen. „Das war definitiv die erste und letzte Einkaufstour, die wir hier gemacht haben.“, nahmen wir uns beide vor.

Am nächsten Tag verlegten wir ATON um die Ecke, in die kleinere Baie de Petit Galion. Diese Bucht war fast rundum geschlossen, und das Wasser darum so ruhig wie in einem See. Wir waren von bewaldeten Hügeln eingeschlossen, die hier und da einige Häuser zeigten. Auf unserer Karte sahen wir, dass es einen Wanderweg gibt, den wir natürlich erkunden wollten. Da es keinen öffentlichen Steg gab, fragten wir eine ältere Frau, ob wir an ihrem festmachen dürfen. In einem französischen Redeschwall, der gar nicht mehr aufhören wollte (obwohl ich ihr gleich sagte, dass mein Französisch nicht sehr gut ist), gab sie uns zu verstehen, dass es in Ordnung ist. Wir liefen durch ihr Grundstück und suchten unseren Weg anhand unserer Karte. Dieser führte uns zuerst durch abgeerntete Zuckerrohrfelder, und danach durch einen großen Laubwald. Nachdem wir unseren Rundweg beendet hatten, kehrten wir, glücklich über die schöne Wanderung, müde und hungrig wieder auf unser schwimmendes Zuhause zurück. Franz zauberte uns ein leckeres Nudelgericht mit einer Tomatensoße mit Thunfisch und Kapern, und wir genossen den Abend mit Blick auf einen perfekten Vollmond, der sich im glatten Wasser spiegelte.

Da wir beim Ankern hier bemerkt hatten, dass etwas mit der Ankerwinsch nicht stimmt, nimmt sich Franz diese am nächsten Tag vor. Er baut sie aus, hebt sie mit Hilfe des Großfalls (eine Leine, die von der Mastspitze kommt) und einer Winsch heraus, und baut sie auseinander. Die Ursache (lockere und fehlende Schrauben) ist schnell gefunden und gehoben. Nurn baut er alles wieder zusammen, und versucht die Winsch wieder einzubauen. Dies ist ein sehr schwieriges Unterfangen. Er muss in den engen Ankerkasten klettern, um zu versuchen, die Winsch so hinzudrehen, dass die Schraubenlöcher übereinstimmen. Da dies aber weder zu sehen, noch zu fühlen ist, höre ich ihn fluchen und schimpfen. Nach mehr als drei Stunden hat er es dann geschafft. Erledigt und sichtlich erleichtert nehmen wir zur Belohnung ein Bad im karibisch-tropisch-warmen Meer.

Einige Tage später finde ich eine große Beilagscheibe im Cockpit. „Was ist denn das?“, frage ich Franz. Er sieht es an und seine Gesichtszüge entgleisen ihm auf der Stelle. „Das gibt`s doch nicht!“, schimpft er. „Bin ich ein Trottel! Ich hab mich schon gewundert, warum sich die Ankerwinsch immer noch so schwer tut. Das hab ich wohl beim Zusammenbauen vergessen.“. Tja, da haben wir uns wohl zu früh über den Haken hinter der Ankerwinsch gefreut. Bei nächster Gelegenheit muss die ganze Arbeit wieder von vorne gemacht werden.

Baie du Tresor – im Nationalpark

Baie du Tresor – im Nationalpark

Michi

Nach einigen Tagen müssen wir mit unserer Entsalzungsanlage Wasser machen. Wegen der Schwebstoffe in den Buchten, die sehr schnell die teuren Filter verschließen, machen wir das nur auf offener See. Wir segeln also zwei Stunden auf dem Atlantik und kommen dann wieder zurück. In der Nacht höre ich, dass die Wasserpumpe durchgehend läuft, und wir schalten sie ab. Tags darauf gehen wir der Ursache auf den Grund und sehen beim Öffnen der Bodenbretter, dass die ganze Bilge (der tiefste Bereich des Schiffs) unter Wasser steht. Es ist Süßwasser, und Franz sucht eine ganze Zeit lang nach der Ursache. Endlich findet er sie: eine Schlauchschelle hat sich gelöst, und das ganze Wasser, das wir tags vorher gemacht hatten, ist in unsere Bilge gelaufen. Jetzt heißt es erst einmal, das Wasser auszupumpen, wobei wir merken, dass die (von den Amerikanern) eingebaute Bilgepumpe, die nicht selbstansaugend ist (was von Haus aus schon ziemlich doof ist), so gut wie gar nicht funktioniert. Gottseidank haben wir von Deutschland eine große Schmutzwasserpumpe mitgebracht, die jetzt erstmals zum Einsatz kommt. Mit einem Schlauch von ca. 5 cm Durchmesser pumpt diese die ungefähr 150 Liter in nullkommanix nach außen. Gut zu wissen, dass das im Notfall funktioniert.

Da wir jetzt wieder raus müssen zum Wassermachen, beschließen wir dieses Mal, danach in der weiter südlich gelegenen Bucht du Tresor zu ankern. Sie liegt in einem Nationalpark, und ist ausschließlich von einsamer Natur umgeben. Es ankern zwar in einer Ecke bereits sieben Schiffe hier, aber wir suchen uns eine andere Ecke aus, wo wir ganz alleine sind. Es ist einfach herrlich hier. Die Ankerplätze sind durch ein vorgelagertes Riff von den Atlantikwellen geschützt, und doch weht noch genügend Wind in die Bucht, um unsere Windgeneratoren am Laufen zu halten, und die gleißende Sonne gut auszuhalten. Gegenüber unseres Ankerplatzes befindet sich ein kleiner Steg, wo wir an Land gehen können. Ein Wanderweg führt durch einen schattigen Wald zur Ruine des Chateau du Dubuc, einem ehemaligen Herrschaftshaus eines Kaffee- und Kakao-Anbauers.

Normalerweise ein Touristenmagnet, hat es aber natürlich momentan geschlossen. Das ist uns sehr recht, denn so trifft man so gut wie niemand auf den wunderschönen und sehr gepflegten Wanderwegen, die uns um die ganze Halbinsel führen. Es geht erst durch einen Mangrovenwald, der uns wohltuenden Schatten spendet, und dann durch einen abwechslungsreichen Laubwald. Auch zum weithin sichtbaren Leuchtturm, der auf dem Berg thront, führt uns der Weg. Dort haben wir eine herrliche Aussicht. Nicht nur Aton, die winzigklein inmitten der Bucht liegt, sondern auch weite Teile der Ost- und Westseite Martiniques kann man sehen.

Wir verbringen einige Tage hier, schnorcheln, wandern, schwimmen, und reparieren und pflegen unsere ATON. Einmal bringt mich Franz an Land, wo ich zu Fuß zu einem kleinen Strand wandere. Er kommt, wie verabredet, mit dem Dinghi an diesen Strand und empfängt mich schon mit den Worten: „Jetzt hast Du gerade was verpasst. Die Polizei war mit einem Boot bei allen Schiffen. Ein sehr netter Beamter, der auch etwas Englisch sprach, und seine Kollegin, haben mich informiert, dass wir uns nicht mehr mit dem Schiff bewegen dürfen. Wenn wir zum Einkaufen in eine andere Bucht fahren, müssen wir umgehend wieder hierher zurückkommen. Sie haben unsere ATON registriert, und auch gefragt, wo Du bist. Ich sagte, Du bist an Land, und sie wollten nur wissen, ob Du Deinen Passierschein dabei hast“. Das ist ein Formular, das man immer dabeihaben muss, wenn man zum Einkaufen, zum Arzt, zur Arbeit, oder zum Spazieren gehen geht (1 Stunde in 1 km Entfernung zur Wohnung) , dabeihaben muss. Auch kam immer mal wieder ein Hubschrauber über die Bucht geflogen und hat die hier ankernden Yachten registriert. Trotz allem hatten wir nie das Gefühl, dass wir hier wirklich streng eingeschränkt sind. Auf all unseren Wanderungen sind wir kaum jemals Anderen begegnet, und hatten auch keinen Kontakt zu anderen Booten. Aber wir konnten uns zumindest an Land und im Wasser vom Schiff wegbewegen, ohne gleich von der Polizei gemaßregelt zu werden. Wieder einmal waren wir froh, nicht in den überlaufenen Buchten auf der Westseite zu liegen, wo jegliche Bewegung streng überwacht wird.