09.03.2019 Der Tag der Umkehr
Franz:
Nach einem gemütlichen Frühstück mit den mitgebrachten Köstlichkeiten fuhren Agnes und Michi zum Einkaufen. Auf meinen Vorschlag (den ich einige Tage vorher gemacht hatte), genügend Rum zu kaufen, hatte ich bereits die die Antwort bekommen, dass dieser sicherlich reiche. Agnes war ganz schön schockiert von den mehr als gesalzenen Preisen. Vor allem die enorm teuren Weine (unsere Gäste sind sehr gute Weinkenner) führten dazu, dass alkoholhaltige Getränke vom Einkauf ausgenommen wurden. Während unsere Damen den Supermarkt durchshoppten, begannen wir Männer, das Schiff auslauffertig zu machen. Wir gingen zuerst das Rigg (Mast, Baum, Stagen, Wanten ect.) und die Segel durch. Anschließend widmeten wir uns dem Anker. Dabei bemerkte Peter unsere Ankersicherung (ein, durch die Ankerkette geführtes Seil, das am Schiff als Zugentlastung befestigt wurde). Wir schwelgten genüsslich in Erinnerungen an vergangene Segeltörns mit Freunden, bei denen unerfahrene Mitglieder unserer Crew diese Ankersicherungsleine beim Einholen nicht gelöst hatten. Das Resultat war, dass sich die Leine mit der Ankerkette und der Ankerwinsch verknotet hatte, und wir im Anschluss unsere liebe Not hatten, das Dilemma wieder zu lösen. Nachdem wir alle Leinen klargemacht und alle Luken geschlossen hatten, kamen auch schon Michi und Agnes vom Einkauf zurück. Wir räumten das Mitgebrachte in Kühlschränke, Staufächer und Gemüsenetze (Fahrtensegler verstauen Obst und Gemüse in einer Art Hängematte, da diese dort gut durchlüftet sind und weniger Druckstellen erfahren). Dann waren wir endlich abfahrbereit. Michi stand am Ruder, Peter und ich bedienten den Anker. Nachdem der Motor gestartet und das Getriebe in Vorwärtsfahrt gebracht wurde, zeigte ich unserer Rudergängerfrau die Richtung an, in welcher die Ankerkette lag. Während sich unser Schiff mehr und mehr der Stelle näherte, an der unser Anker lag, holte unsere Ankerwinsch Meter für Meter die Kette in den Ankerkasten. Plötzlich blockierte die Ankerwinsch. Ich gab Michi das Zeichen, aufzustoppen. Wir fierten die Kette etwas (Kette nachlassen) und starteten den Vorgang nochmals. Nach wenigen Metern stoppte die Winsch abermals. Peter und ich sahen uns an und überprüften zügig den Kettenmechanismus. Und da sahen wir auch schon das Problem. Wir hatten unsere Zugentlastung vergessen zu öffnen. Somit war exakt das passiert, was sonst nur unerfahrenen Seglern passiert (s. o.). Nachdem wir uns kurz über unsere eigene Dummheit geärgert hatten, lösten wir unser Problem, bargen den Anker und fuhren zügig aus dem Feld von Ankerliegern. Der Wind hatte so zugenommen, dass der Tag sportliche Segelbedingungen versprach. Einzig die aufkommende Bewölkung machte mir etwas Bedenken. Da wir aber eh nur eine relativ kurze Strecke (ca. 20 SM) segeln wollten, um zu Tanken und unseren geplanten Ankerplatz anzulaufen, bestand formell kein Grund zur Sorge. Also nichts wie raus ins Fahrwasser. Sobald es das umliegende Gewässer zuließ, drehte ich (wir hatten die Plätze getauscht und ich war Rudergänger) in den Wind. Peter und Michi setzten das Großsegel. Sobald das Segel durchgesetzt und das Großfall gesichert war drehte ich das Schiff in die gewünschte Richtung. Die Großschot wurde gefiert und der einfallende Wind (er hatte mittlerweile deutlich die 20 Knoten überschritten) blähte unser Segel. Mit guten 6 Knoten Fahrt nur unter Großsegel stellte ich unseren Diesel ab. Wir alle genossen die plötzlich eintretende Ruhe. Als nächstes setzten wir die Genua. Die Geschwindigkeit unserer Aton nahm beträchtlich zu. Nun hieß es, gut zu manövrieren. Die teilweise recht engen Fahrgewässer, eingegrenzt durch Sandbänke, Riffe und Felsen, machten das Segeln zur Herausforderung. Zuerst ging es auf halben Wind Richtung Norden. Dann zeigte mir mein Plotter (ein GPS-gestütztes Gerät mit Gewässerkarten und etlichen Zusatzfunktionen) an, dass das Fahrwasser nach Backbord schwenkt. Dies bedeutete für mich den Kurs neu zu setzen und mehr Raumschot (Windeinfall achterlicher als querab, grins) zu segeln. Im weiteren Kursverlauf war mir klar, dass wir halsen mussten (Kursänderung, bei der der Wind von hinten, achtern durchläuft, was dazu führt, dass der Großbaum von einer zur anderen Seite durchschwenkt). Ich teilte dies meinen Mitseglern mit. Da aber mittlerweile der Wind beträchtlich zunahm und gleichzeitig ein enormer Regenguss über uns herfiel, beschlossen wir, unsere Segelanzüge und Rettungswesten anzulegen. Während sich unsere Mitsegler anzogen und Michi unter Decks meine Segeljacke hersuchte, krachte über uns ein Gewittersturm. Vollkommen durchweicht stand ich nur mit Badehose und T-Shirt bekleidet am Steuer und versuchte die Gläser meiner Brille so zu schützen, dass ich etwas sehen konnte. Wir rauschten mit über 8 Knoten Fahrt die enge Fahrrinne entlang. Der Abstand zu unserem nächsten Kursänderungspunkt verringerte sich auf- grund des Tempos dramatisch schnell. Falls es uns nicht rechtzeitig gelänge, mittels einer Halse unseren Kurs zu ändern, würden wir auf das nahe Riff auflaufen. Die immer stärker werdenden Windböen versetzten unseren Rumpf ins Luv (dem Wind zugewandte Seite) und ließen das Rigg von Aton erzittern. Nach jeder durchlaufenden Böe musste ich mit aller Kraft das Ruder herumreißen und den Kurs korrigieren. Nach einer gefühlten Ewigkeit waren meine Mitsegler angekleidet und mit Rettungswesten sowie Life-Leine im Cockpit. Einzig Michi war noch unten im Salon. Ich machte Peter und Agnes auf die bevorstehende Halse aufmerksam. Sekunden später waren alle auf Position. Peter an der Großschot, Agnes an der Vorschot, ich am Ruder. Nachdem jeder sein „bereit zum Manöver“ meldete, kam die Ansage „Rund Achtern“. Das Manöver hätte keine Minute später erfolgen dürfen, da das Riff bereits zum Greifen nah war. Ich drehte das Ruder im Uhrzeigersinn. Langsam begann Aton sich nach steuerbord zu drehen. Peter holte die Großschot dicht, die Genua begann in sich einzufallen. Plötzlich der Scheitelpunkt, der Großbaum knallte von backbord nach steuerbord, aber dank der Arbeit Peters an der Schot war der Schwoiraum des Baumes derart verkürzt, dass sich der Ruck am Tauwerk in Grenzen hielt. Aber was war mit der Genua passiert? Während unser aller Aufmerksamkeit auf die Großschot gerichtet war, hatte sich die Genua nicht wie geplant hinter der Vorstag durchgeweht, sondern wehte nun vor dem Vorstag und ließ sich deshalb nicht mehr mit der Vorschot dichtziehen. Nach mehreren Versuchen, es doch noch zu schaffen, kamen wir zu dem Schluss, eine weitere Halse zu machen, um das Vorsegel zurückwehen zu lassen. Also wieder alle Mann an die Posten, Peter an der Großschot, Agnes an der Vorschot und ich am Ruder. Als wir nun gerade dabei waren, das Vorsegel in die richtige Position zu bringen, um auf den angepeilten Kurs zu gehen, kahm eine sehr starke Windböe und fuhr dermaßen in unsere Genua, dass die Steuerbord-Vorschot trotz Achterknoten durch die Umlenkrolle gezogen und um unser Schiff gepeitscht wurde. Somit waren wir nun ohne Vorsegel. Damit war für mich klar, dass wir unser Segelvorhaben für heute beenden mussten. Wir bargen so gut es ging die Segel und fuhren mit dem Motor zurück zu unserem Ausgangspunkt.
Michi
Als ich unter Deck beschäftigt war, neigte sich Aton plötzlich stark zur Seite. Geschirr schepperte in den Schränken, und ich versuchte, mich so gut es ging festzuhalten. Dies geht in unserem Salon recht gut, da die Laufwege durch die Rückseite der Sitzbank, bzw. durch die Hinterseite unserer U-Küche seitlich begrenzt sind. Ich dachte mir nichts dabei (weiß ich ja aus Erfahrung, dass eine solche Schräglage entsteht, wenn Segel gesetzt werden), als plötzlich die gleiche heftige Schiffsbewegung in die andere Richtung einsetzte. Als ich ins Cockpit kam, sah ich unser Vorsegel „führerlos“ vor dem Vorstag schlagen. Außerdem regnete es plötzlich so heftig, dass ein Sturzbach durch den Niedergang in den Salon hereinlief, und der Rest der Crew auf Deck schon pitschnass war. Ich versuchte schnell, die Wasserpfütze aufzuwischen, und gesellte mich dann zu den anderen ins Cockpit. Wir beschlossen, die Segel zu bergen, und zurückzufahren, da wir ohne funktionierendes Vorsegel, und bei starkem Wind und Regen, auf dem Atlantik schlechte Karten hätten. Also wieder zurück zur Westseite von Stocking Island. Der Regenguss hörte genauso schnell wieder auf, als er begonnen hatte. Wir suchten uns einen schönen Ankerplatz und beschlossen, den angefangenen Tag mit einer Exkursion auf der Insel fortzusetzen. Also alle Mann ins Dinghi, und an den nahen, wunderschönen pudrig-weißen Sandstrand gefahren. Von dort ging ein Pfad in den Palmenwald, der vielversprechend aussah. Als wir gerade 100 Meter gegangen waren, realisierten wir den Angriff einer ganzen Horde von Mosquitos. Sie saßen schon auf Peter`s Arm, und ich war bereits einige Male gestochen. „Schnell zurück zum Strand“, sagte ich, und wir rannten wieder zum Strand, wo aufgrund des Windes keinerlei blutrünstiges Krabbelgetier zu finden war. Wir sind ja flexibel, also gingen wir am Strand und der Küste ein Stück die Insel entlang.