Unser neues Abenteuer
Michi
Seit unserer Rückkehr in ein „normales“ Leben im Juni 2020 haben wir natürlich nie aufgehört, an eine Fortführung unserer Aton-Reise zu denken. Die nicht besser werdende Situation mit meinen Eltern und die auf- und ab schwappenden Corona-Wellen machten es uns aber nicht leicht, eine Entscheidung zu fällen. Sollen wir unser Schiff verkaufen? Angesichts der Reise-Einschränkungen wegen Corona in der Karibik und auf der ganzen Welt wird dies momentan aber wahrscheinlich schwierig werden. Wer kauft schon ein seegängiges Schiff, das für große Fahrt ausgestattet ist, und kann dann nicht reisen? Sollen wir Aton nach Europa holen? Das hätte auch seine Reize, schließlich gibt es hier auch sehr schöne Segelgebiete, wie z. B. Irland, England, Norwegen, die Ostsee-Runde und natürlich das Mittelmeer mit all seinen Anlieger-Staaten und Inseln. Da wären wir dann zur Not auch schnell wieder zuhause. Mal sehen – wir lassen uns mit dieser Entscheidung noch Zeit und sehen, wie sich alles entwickelt.
In der Zwischenzeit ging ich fleißig arbeiten und Franz hielt mir im Haushalt und bei der Senioren-Betreuung den Rücken frei. Oft sprachen wir über unsere wunderschönen Erinnerungen und aufregenden Erlebnisse unserer Reise. Nichtsdestotrotz waren wir aber auch sehr glücklich, dass wir in Deutschland waren. Unsere Freunde, die mit ihren Schiffen in der Karibik geblieben waren, warteten dort mehr oder weniger untätig, bis sich die Lage wieder soweit besserte und eine Weiterreise wieder unkompliziert möglich sein wird. Nur John und Wendy waren, nachdem sie ihre Headway in Grenada sicher an einer Boje zurückgelassen hatten, im Herbst zurück nach Südafrika geflogen. Gerade noch rechtzeitig zur Geburt ihres ersten Enkels. Bei unseren regelmäßigen Telefonaten teilten sie uns ihre Entscheidung mit, dass sie diesen Sommer noch zu Hause bleiben wollten, und dann evtl. im Herbst wieder zurück in die Karibik fliegen wollten, falls sich die Lage bis dahin entspannt hat.
Auch mit Simon und Rachel, die wir wie die meisten unserer Freunde in Trinidad getroffen hatten, tauschten wir uns regelmäßig aus. Sie hatten schon länger den Wunsch, ihre Yacht, die Princess Arguella, nach Europa zurück zu bringen. Nun schien dieser Wunsch sich in einen konkreten Plan entwickelt zu haben, denn bei einem Telefonat sagten sie uns, dass sie auf der Suche nach einer Crew wären, dies aber in diesen Zeiten sehr schwierig sei. Dazu muss man wissen, dass eine Atlantik-Überquerung von Ost (meistens ist der Startpunkt irgendwo in den Kanaren) nach West seglerisch eine relativ einfache Angelegenheit ist. Man setzt die Segel, wartet circa drei Wochen und wird vom beständig wehenden Passat automatisch in die Karibik geblasen. Andersherum aber, also von West nach Ost, sieht die Sache ganz anders aus. Hier kann einem wettertechnisch so gut wie alles begegnen: Flaute, Starkwind oder Sturm. Man muss die Route gut planen, um den optimalen Wind zu erwischen und die Wahrscheinlichkeit, dass relativ viele Segelmanöver gefahren werden müssen, ist hoch. Manche Segler machen das ganz alleine, aber generell ist eine Crew von mindestens drei bis vier erfahrenen Seglern einfach viel sicherer und bequemer. So wechselt man sich ab mit der Ruderwache, und es gibt immer genügend Zeit, sich zu erholen und zu schlafen.
Ja und ratet mal, wer hier sofort die Hand hochhob und sich als Crew anbot? Captain Franz natürlich. Er bot sich sofort an, weil so eine Ozean-Überquerung natürlich für jeden Segler eine einmalige Erfahrung ist. Außerdem, so versuchte er meine anfängliche Skepsis (oder war es eher Neid) zu zerstreuen, wäre das eine Chance, für eine eventuelle Überfahrt mit unserer Aton nach Europa bei so einem erfahrenen Skipper wie Simon eine Menge zu lernen. Da hatte er natürlich Recht. Simon und Rachel waren total begeistert, schließlich stand Franz als hoch geschätzter Freund, Segler, Koch und vor allem als Mechaniker und Schiffs-Elektriker ganz oben auf ihrer Crew-Wunschliste. Simon ist nämlich als ehemaliger Manager nicht wirklich technisch versiert, und wie ihr als treue Blog-Leser wisst, geht ständig irgendetwas kaputt an einem Schiff.
Ich musste mich also mit dem Gedanken vertraut machen, dass mein Schatz demnächst für einige Wochen wieder Seeluft schnuppern und ein großes Abenteuer erleben wird, während ich brav in die Arbeit gehen werde. Dabei wollte ich doch nichts mehr, als auch mal wieder dieses intensive Glücksgefühl zu spüren, unter einem atemberaubenden Sternenhimmel durchs Wasser zu schneiden, oder den Tag einfach auf mich zukommen zu lassen, ohne zu wissen, wo ich am Abend sein werde, oder einfach einmal zu erleben, wie es ist, ganz auf sich selbst gestellt zu sein und über Wochen nichts als Wasser um sich zu haben. Würde ich es lieben oder hassen? Wäre es atemberaubend oder langweilig? Kämen wir als Team über Wochen in einem engen Schiff zurecht, oder würde ich mir wünschen, ganz woanders zu sein? Egal, was dabei rauskommt, ich würde es nur erfahren, wenn ich es mache. Ich fing an, einen Plan zu schmieden, wie ich arbeitstechnisch eine längere Auszeit nehmen könnte, ohne dass mein Chef deswegen kollabiert. Dass ich seit 8 Monaten keinen einzigen Tag Urlaub, und dafür 150 Überstunden aufgebaut hatte, war natürlich auch ein Argument. Frechheit siegt, dachte ich mir, und sprach mein Vorhaben an. Tatsächlich war mein Boss gar nicht so schockiert, wie ich gedacht hatte. Er wollte „nur“, dass ich noch dies und jenes vorher fertig mache, und gab mir sofort das okay. Ich freute mich tierisch, und Simon und Rachel auch.