Was für eine Nacht
Nach einigen Tagen geht es weiter nach Union Island. Da ein schöner Segelwind bläst, legt sich Aton ins Zeug, und wir segeln mit schönem Halbwindkurs bis zu 10 Knoten schnell. Das macht Spaß! Wir kommen spätabends an, und ankern hinter mehreren anderen Yachten in der Bucht von Fregate Island, von wo aus wir am nächsten Tag mit dem Bus zum Einklarieren fahren wollen. Der Wind nimmt noch zu und zerrt an Aton; die Ankerkette ist voll gespannt, und wir sind froh um unser Ankergeschirr mit den Stoßdämpfern und dem Bridel, einem Haken, mit dem man die Ankerwinsch entlasten kann. Seitdem wir dies benutzen, hat das Geknarze des Ankerentlastungsseils endlich ein Ende, und wir können in Ruhe schlafen.
Der Wind heult die ganze Nacht, und als ich um drei Uhr Früh zur Kontrolle aus unserem Schlafzimmer-Dachfenster schaue, trifft mich fast der Schlag. Wir sind ungefähr 200 Meter nach hinten versetzt und haben den großen Fischertrawler, der hinter uns lag, nun neben uns. „Schnell Franz, wir müssen den Anker aufholen, der hält nicht.“, wecke ich Franz auf, und der ist sofort hellwach. Er hastet schnell zum Steuerstand, und ich mache mich bereit für ein nächtliches Ankermanöver. Gottseidank sind wir mittlerweile schon so eingespielt, dass dies auch bei Dunkelheit und lauten Windgeräuschen funktioniert, denn eines unserer beiden Funkgeräte, die wir zur Kommunikation zwischen Bug und Steuerstand beim Ankern immer genutzt haben, hat den Geist aufgegeben. „Da vorne ist eine Boje zwischen den anderen Yachten frei. Wir versuchen, sie aufzunehmen, ankern will ich hier nicht mehr.“, ruft mir Franz zu und nimmt schon Kurs auf die Boje. Mir ist ein bisschen mulmig dabei, weil die anderen Boote so nah an der Boje stehen, aber ich habe keine Zeit, mir darüber Gedanken zu machen. Ich richte meine Leine her, die ich durch das Auge der Boje fädeln muss. Hierfür muss die Boje mit einem Bootshaken gefasst und an das Boot herangezogen werden. Das ist schon am Tag und ohne Wind nicht ganz einfach. Als wir uns der Boje nähern, bekomme ich sie mit dem Bootshaken zu fassen, und ziehe unsere Leine durch, aber Franz kann Aton nicht aufstoppen, weil der starke Wind uns vertreibt. Ich kann die Leine nicht schnell genug festmachen, und sie gleitet mir wieder aus der Hand. „Vorsicht, die Leine!“, rufe ich, und versuche, die lange Leine möglichst schnell einzuholen, aber es ist schon zu spät. Franz kann den Motor nicht in den Leerlauf stellen, weil uns der Wind sonst in die anderen Boote treibt, und es kommt, wie es kommen musste. Die Leine wird vom Propeller angesaugt, und wickelt sich darum. Mit einem harten Ruck kommt der Motor zum Stehen und wir treiben antriebslos zwischen den anderen Booten, und immer näher auf einen Katamaran zu. „Schnell, die Genua ein Stück raus“, schreit Franz geistesgegenwärtig, und zieht schon an der Genua-Schot. Gerade noch im letzten Moment bevor wir den Kat rammen, fährt der Wind in das Stück Genua und Franz manövriert uns aus den ankernden Booten auf die offene See hinaus. „Uff, das war knapp.“. Aber was jetzt?
„Wir müssen vor der Insel auf und ab segeln, bis es hell wird. Dann sehen wir weiter.“, entscheidet Franz. Gottseidank befinden wir uns auf der windabgewandten Westseite von Union Island, somit ist keine Gefahr, dass uns der Wind in Richtung Land drückt. Wir segeln also mit unserer gerefften Genua die Insel rauf und runter und wieder rauf. Dabei müssen wir beim Umkehren jedes Mal halsen, weil wir aufgrund des fehlenden Antriebs nicht in den Wind fahren können, und keine Wende hinkriegen. „Wir entfernen uns immer weiter vom Land, weil der Wind und die Strömung uns wegdrücken.“, stelle ich fest. „Mit dem Großsegel könnten wir hart am Wind besser manövrieren, und Richtung Land segeln, aber das kriegen wir nicht hoch, weil wir das Schiff ohne Motor nicht in den Wind stellen können.“, antwortet Franz. „Vielleicht kann uns irgendjemand helfen. Ich setze jetzt einen Pan Pan – Ruf ab.“, entgegne ich. Das ist ein Hilfe-Ruf bei einer noch nicht lebensbedrohlichen Gefahr, der mit dem Funkgerät abgesetzt wird. „Pan Pan Pan, this is sailingvessel ATON. We`re drifting west of Union Island and are unable to manouver.” Immer wieder rufe ich, bis sich endlich jemand meldet. Er ist aber leider nicht in der Nähe, und kann nicht wirklich helfen. Aber er spricht mir Mut zu, und empfiehlt mir, später nochmal zu rufen, wenn die Leute aufstehen.“. Also segeln wir weiter; wenigstens gibt es nur wenig Welle, und der Wind hat etwas nachgelassen. Ich funke noch einige Male mit ihm, aber sonst meldet sich niemand.
Und so geht es vor Union Island wieder runter und wieder rauf. Mittlerweile ist es fünf Uhr, und man kann die Dämmerung schon erahnen. „Ich lass jetzt das Dinghi runter, und versuche, uns zu ziehen.“, entscheidet Franz, um irgendwas zu machen. Gesagt, getan. Aber das ist gar nicht so leicht. Das Dinghi tanzt in den Wellen, und es dauert eine ganze Zeit, bis Franz eine Leine, die ich ihm runterlasse, im Dinghi festmachen kann, und versucht, Aton zu ziehen. Darüber lacht Aton nur. Sie ist viel zu träge und zu schwer, und unser Dinghi-Motor viel zu klein. Nicht nur einmal klatscht er gegen die Bordwand und muss höllisch aufpassen, dass er die Zugleine nicht auch noch in den Dinghi-Propeller einfährt. Nach 15 Minuten gibt er es auf, und kommt wieder an Bord. Ich bin sowas von froh, meinen Skipper wieder an Bord zu haben.
„Wir probieren das mit dem Großsegel jetzt einfach mal aus“, beschließt Franz anschließend. Also versuche ich, Aton in den Wind zu stellen, aber es gelingt nicht ganz, und das Großsegel bleibt mit den Latten in der Aufhängung des Lazy Jack (der Sack, in dem das Großsegel auf dem Baum liegt) hängen. Also wieder zurück, und nochmal probieren, aber es geht auch nicht besser. Ausge-
rechnet jetzt hat der Wind auch nachgelassen, so dass unsere Geschwindigkeit nicht reicht, um ganz in den Wind zu schießen. Erst als ich abfalle, und eine Böe abwarte, mit der ich etwas schneller werde, komme ich soweit in den Wind, dass Franz das Segel wieder ein Stück höher bekommt. Nach mehreren Versuchen ist es geschafft. Mit dem Großsegel können wir nun einen Kurs hart am Wind segeln, und nähern uns mit jedem Schlag dem Land schnell wieder an.
Nun heißt es, unter Segel in die Chatham Bay einzulaufen, und dort zwischen den anderen Yachten den Anker zu werfen. Gottseidank ist nicht allzu viel los. Da der Wind unter Landabdeckung jedoch einfällt, werden wir immer langsamer und schaffen es gerade noch, einen Platz mit genügend viel Abstand zu den anderen Booten zu erreichen. Ich werfe den Anker und bete, dass er hält, denn sonst sind wir verratzt. Er hält!
Uns fällt ein Stein vom Herzen, und wir sind einfach nur froh, dass wir wieder mal Glück gehabt haben, und nichts passiert ist. Also aufregend ist so ein Segler-Leben schon. Da braucht man manchmal wirklich starke Nerven. Übrigens sprechen uns am nächsten Tag zweimal Leute an, ob wir das waren, die da im Funk den Pan Pan – Ruf abgesetzt haben. Sie hätten es gehört, und haben sich gedacht, wie ruhig und cool ich da gesprochen habe. „You`ve made a good job!“. Nat toll, vielleicht hätte ich aufgeregt stammeln sollen, damit mir jemand antwortet?
„So, und wie kriegen wir jetzt die Leine wieder vom Propeller?“, fragen wir uns. Mein Gesprächs-partner der Nacht meldet sich nun auch wieder, und fragt, wie es uns ergangen ist. Er rät mir, die Küstenwache zu rufen, die können eventuell helfen. Es dauert nicht lange, und da ruft mich die Küstenwache schon auf dem Funk. Die haben uns die ganze Zeit belauscht! Sie fragen, wo wir genau sind, sie wären schon auf dem Weg. Da frag ich mich schon, warum die sich nicht gemeldet haben, als wir draußen rumgedriftet sind. Die haben doch bestimmt auch eine Nachtschicht. Hatten die keine Lust?
„Ich fahr mit dem Dinghi einfach mal die anderen Boote ab. Da hat bestimmt jemand eine Taucherausrüstung.“, sagt Franz. Und gleich beim ersten Katamaran hat er Glück, na also. Zwei junge, nette Briten kommen mit ihrer Taucherausrüstung rüber und in null Komma nix ist der Taucheranzug angezogen. In diesem Moment trifft auch schon die Küstenwache mit mindestens sechs Leuten ein. Sie warten noch seelenruhig, bis unser Taucher (der das übrigens ohne jegliche Gegenleistung gemacht hat), die Leine vom Propeller gefuffelt hat, und kommen dann an Bord. Sie kontrollieren alle Papiere, und fragen nach Waffen. Als ich sage, wir haben keine, frägt er mich glatt ganz ungläubig, warum nicht, und wie wir uns dann verteidigen. Ich sage, ich will nicht auf Menschen schießen, und dass wir eine Steinschleuder an Bord haben.“. Die ist besser als nix“, sage ich. Die drei Beamten an Bord schauen sich verblüfft an, und wollen die Schleuder sehen. Ich zeige sie ihnen, und auch die Munition, nämlich Glaskugeln, finden sie sehr faszinierend. Sowas haben sie wohl auch noch nicht erlebt, und sie sind ziemlich belustigt. Sie wünschen uns noch viel Glück, und sind wieder weg.
Gottseidank springt der Motor gleich an, und anscheinend ist nix kaputt.
3 Replies to “Was für eine Nacht”
Also ich muss schon sagen da liest sich mein neuer Krimi nicht so spannend wie euer neuer Blog! Schade dass wir nicht ganz so viel Zeit zum Austausch hatten bei eurem kurzen Heimatbesuch…? ich hoffe ihr seid alle wohlauf, genießt die Zeit und bis zum Sommer – deutschen Sommer – LG
Ahoi, ihr Draufgänger 🙂 Da bekommt man ja schon beim Lesen erhöhten Puls…
Hut ab für das Manöver!
Könnt ihr denn eigentlich das Groß auf einem Amwindkurs nicht setzen?
Schattige Grüße aus München
Martin
Servus Martin,
vielmals Entschuldigung für die späte Antwort (zwischenzeitlich ist hier einiges passiert). Um Deine Frage zu beantworten;
wir haben sowohl ein gelattetes Großsegel, als auch ein Lazy-Jack. Wenn man das Schiff nicht in den Wind stellt verfangen sich die Lattung im Lazy-Jack. Man kann natürlich das Lazy runter lassen, aber an diesem Tag hat sich die Umlenkung vertörnt. Ich hoffe dass ich unser Problem einigermaßen verständlich erklärt habe.
Viele Grüße aus dem schwül heißen Martinique
Franz