Michi
Wir verließen abends unseren Ankerplatz, um den letzten Schlag unserer Reise nach Trinidad in Angriff zu nehmen. Da Trinidad nur wenige Seemeilen von Venezuela trennt, und dort aufgrund der unsäglichen Korruption der Regierung die ganze Wirtschaft zusammen-gebrochen ist, gibt es immer wieder Meldungen über Piraten-Übergriffe in diesem Gebiet. Die Menschen haben einfach nichts mehr, und sehen sich teilweise gezwungen, Yachten zu überfallen und auszurauben, um überleben zu können. Wir meldeten unsere Überfahrt auf einer dafür vorgesehen Webseite an, und fuhren nachts und ohne AIS, damit man uns nicht gleich entdeckt. Unser Weg führte an mehreren Gasförder-Plattformen vorbei, wo wir dann auch unser Licht ausschalteten, um nicht gesehen zu werden. Wir hatten gehört, dass teilweise Arbeiter, die dort Yachten sehen, entsprechende Tipps nach Venezuela senden. Etwa eine Seemeile hinter uns „verfolgte“ uns die ganze Nacht über ein Licht, das immer näher kam. Es stellte sich heraus, dass es ein großer Frachter war, der den gleichen Weg hatte, und uns erst überholte, als wir die Küste Trinidads im Morgenlicht schon sehen konnten. In der unmittelbaren Nachbarschaft dieses Frachters fühlten wir uns relativ sicher, und dank des Vollmondes, der die Nacht erhellte, konnten wir sämtliche Schiffsaktivitäten um uns herum sehr gut erkennen. Direkt am Kanal zwischen Venezuela und Trinidad „lauerte“ dann auch schon ein großes Schiff der Küstenwache Trinidad`s, um den einfahrenden Yachten (wir sahen außer uns keine weiteren) Schutz zu gewähren. Trinidad versucht erfolgreich, die Yacht-Industrie zu stärken, die durch ein großes Angebot an Liegeplätzen, Dienstleistungen, Schiffs-Kränen, Handwerkern und Schiffsausstattern Yachties bedient, welche die Hurrikan-Saison von Juni bis November hier verbringen und dabei nötige Reparaturen und Wartungen durchführen.
Da wir sehr müde waren, ankerten wir gleich in der ersten Bucht, der Scotland Bay. Es waren bereits mehrere Schiffe in dieser schönen, tief eingeschnittenen, von Regenwald umgebenen, unbewohnten Bucht, und wir suchten uns einen Platz in der Nähe eines französischen Paares mit einer schönen 53 Fuß Amel.
Nach einem Frühstück legte sich Franz nochmal hin, und die Franzosen besuchten uns kurz mit dem Dinghi. Sie berichteten, dass zwei weitere Schiffe, die mit Landleinen angemacht waren, ebenfalls Deutsche wären. Als Franz ausgeschlafen hatte, beschlossen wir, kurz zu den Deutschen rüber zu rudern, und danach in die Chaguaramas Bay zu fahren, wo wir einklarieren können. Leider waren die Deutschen nicht auf ihren Schiffen anzutreffen, und wir wollten gerade zu unserer ATON zurück, als ein Boot der Küstenwache in die Bucht fuhr. Jetzt hatten wir natürlich schlechte Karten, denn eigentlich wäre es unsere Pflicht gewesen, sofort nach der Ankunft einzuklarieren. Wir kamen den strengen Beamten wohl sehr verdächtig vor, und schon waren sie auf ATON, um unsere Dokumente und das Schiff zu kontrollieren. Sie kuckten unter die Matratzen und in diverse Schaps und Fächer, und fotografierten unsere Dokumente. Da sie weder Drogen noch Waffen fanden, zogen sie nach einer gefühlten Ewigkeit wieder ab. Jetzt aber schnell zum Einklarieren.
Wir machten an einer Boje in der Chaguaramas Bay fest, und suchten das Gebäude der „Immigration“ auf, wo Franz einen Wust an Formularen auszufüllen hatte. Außer uns war noch ein anderer Kunde da, der uns immer wieder Tipps für das Ausfüllen gab. Als er fertig war, ging er, um nach etwa 20 Minuten atemlos wieder zur Türe hereinzustürmen. „Gottseidank seid ihr noch da!“, stieß er hervor. Er hielt ein Handy in der Hand und fragte Franz: „Ist das Deines? Es lag neben meinem auf dem Tisch und ich habe es wohl aus Versehen mitgenommen, und erst später gemerkt, dass ich jetzt zwei Handys habe.“ Franz viel aus allen Wolken, da sein Handy unser Haupt-Kommunikationsmittel ist, und viele wichtige Apps darauf geladen sind. Es wäre wirklich fatal, sollten wir es verlieren, und so bedankten wir uns herzlich für das Zurückbringen. Schön, dass es ehrliche Menschen gibt!
Da wir bis zum Dienstag noch 4 Tage bis zu unserem haul out (das Herauskranen unserer ATON) hatten, und Chaguaramas aufgrund der vielen Werften und Marinas eher industriell und geschäftig ist, fuhren wir wieder zurück in die idyllische Scotland Bay, um die letzten Tage auf dem Wasser noch zu genießen. Die Franzosen waren auch noch da, und luden uns für den nächsten Abend zum Dinner ein. Es wurde ein sehr netter Abend, bei dem wir wieder viele wertvolle Informationen ausgetauscht haben. Sie erzählten uns zum Beispiel, dass die anderen Deutschen in der Bucht sie gewarnt hätten, sich beim Gassigehen mit ihrem Hund vor Anakondas in Acht zu nehmen, die gerne mal so einen Vierbeiner als Zwischengericht verspeisen. Auch erfuhren wir jetzt, worum es sich bei einem wirklich gruseligen Geräusch handelt, das wir ab und zu hier hören. Es hört sich fast an, als ob eine heftige Fallböe fauchend und zischend über den Berghang kommt. Wenn man es nicht besser wüsste, könnte man meinen, irgendeine Bestie, oder ein Raubtier faucht ganz laut. Die Franzosen klärten uns auf, dass es sich um eine Affenart, ähnlich der Brüllaffen handelt. Am nächsten Tag sahen wir tatsächlich einen dieser braunen Affen in den Palmen herumturnen. Dass etwas so harmloses ein derart gruseliges und lautes Geräusch machen kann ist faszinierend.
Leider stellten wir fest, dass sehr viel Abfall und Unrat sowohl auf und unter Wasser, das ohnehin nicht sehr klar war, als auch am Ufer verteilt war. Plastik, Glasflaschen und Papier überall. Am Wochenende kamen dann auch mehrere kleinere und große Partyboote mit Unmengen Menschen darauf, um die idyllische Bucht mit sehr lauter Partymusik zu beschallen. Gottseidank verschwanden sie abends, und wir konnten uns wieder an den exotischen Vogelstimmen erfreuen. Wir wollten am Montagnachmittag in unserer Marina vorsprechen, um das Procedere abzuklären, aber als wir am Morgen aufstanden, verließen wir fluchtartig die Bucht. Es hatte die ganze Nacht geregnet, und nun waren Schwärme von fliegenden Termiten in der Luft und auf ATON. Überall lagen die Flügel, und krabbelten die Tierchen herum. Sobald man welche weggewischt hatte, kamen zweimal soviel neue dazu – es nahm kein Ende.
Nach einem schwierigen Anlegemanöver (da wir zweimal zu kurze Leinen erst wieder durch längere ersetzen mussten) am Steg der Peakes Yacht Services in der Chaguaramas Bay erfuhren wir dort, dass wir beim Einklarieren noch in ein anderes Büro der Customs gemusst hätten. Leider hat uns das keiner gesagt, und so mussten wir das schnellstmöglich nachholen. Die Peakes – Leute stellten Franz einen Fahrer zur Verfügung, der ihn fuhr, und etwa eine Stunde wartete, bis er dort fertig war. Da wir nun schon seit drei Tagen im Land waren, und jetzt erst (statt, wie vorgeschrieben, innerhalb der ersten 24 Stunden) dort die Formalitäten erledigten, musste Franz einen „Aufsatz“ schreiben, wie es dazu gekommen ist. Dieser wurde dann abgestempelt, und ihm zur Vorlage bei einer weiteren Kontrolle mitgegeben. Somit hatten wir es den Termiten zu verdanken (die übrigens nur einmal jährlich, wenn die Regenzeit beginnt, ausfliegen), dass wir unseren haul-out-Termin doch noch einhalten konnten, denn das geht nur mit dem Customs-Formular, welches wir am Nachmittag nicht mehr bekommen hätten.
Als auch diese Hürde genommen war, konnten wir uns entspannen, und das riesige Werft-Gelände und die Nachbarschaft erkunden. Hier stehen ungefähr 500 Yachten in allen erdenklichen Größen. Auch in der Nachbarschaft dreht sich hier alles um Boote, Werften und Marinas. Wirklich schön ist das natürlich nicht, aber sehr zweckmäßig. Am nächsten Morgen waren wir dann dran mit dem haul-out. Wir wurden mit vier Leinen in einer Kammer festgemacht, und verließen dann das Schiff. Der große Kran ließ riesige Bänder ins Wasser ab, und ein Taucher platzierte diese an den richtigen Stellen an ATON`s Bauch. Daraufhin wurden die Bänder zusammen mit ATON langsam hochgezogen.
Zum ersten Mal sahen wir ATON in ihrer ganzen Pracht mit dem Schwenk-Kiel und dem Ruder aus dem Wasser. Der Kran fuhr ein Stück nach vorne, an Land, wo das Unterwasser-Schiff dann von einem Arbeiter gründlichst mit einem Hochdruck-Reiniger sauber gemacht wurde. Danach setzte man sie auf einem speziellen Fahrzeug ab, und auch die Stellen, wo vorher die Bänder waren, wurden jetzt noch gesäubert. Nun hieß es, einen Platz für ATON zu finden. Da es wegen der jetzt beginnenden Hurrikan-Saison gerade Hochsaison ist, waren alle guten Plätze auf dem Gelände bereits vergeben. Man versuchte, sie mit eingezogenem Kiel und Ruder in eine Lücke zwischen zwei größere Schiffe zu quetschen, aber Franz intervenierte heftig. Schließlich muss er die Hydraulik des Kiels reparieren, und hierfür muss dieser ganz ausgefahren werden. Das heißt, ATON muss dann um zwei Meter höher gesetzt werden, und hätte dann hier keinen Platz mehr zwischen den Nachbarschiffen gehabt. Also bot man uns einen Platz ganz am Rand an, wo wir nur einen Schiffsnachbarn und somit viel mehr Bewegungsfreiheit haben, und der außerdem noch schön schattig unter Bäumen liegen. So wurde ATON also hier aufgebockt und abgestützt. Eine Leiter dient uns als Eingang, und wir haben Wasser und Elektrizität, so viel wir wollen. Wir sind sehr glücklich mit diesem Platz, er liegt in unmittelbarer Nachbarschaft zu den sehr sauberen und schönen Toiletten und Duschen und den Läden, die es hier gibt. Die Bäume geben uns den ganzen Vormittag Schatten, was sehr angenehm ist, und außerdem liegen wir direkt neben dem Zufahrtsweg, wo wir vom Pförtner-Häuschen, und auch von den Läden her stets eingesehen werden können, was uns ein sehr sicheres Gefühl gibt.
Gleich am ersten Tag haben wir einen Venezuelaner, Elias, kennengelernt. Er arbeitet hier vorübergehend auf einer Yacht. Ich übe mit ihm regelmäßig deutsch, und er mit mir spanisch (dabei ist Englisch unsere gemeinsame Sprache), und wir bekochen uns gegenseitig deutsch und venezuelanisch. Auf dem Bild hat er uns Arrepas gebracht, ein typisches venezuelanisches Frühstück. Es handelt sich um gebratene Maismehl-Fladen, die man, ähnlich wie Pfannkuchen, je nach Belieben bestreichen oder füllen kann.
Er hat uns erzählt, dass es mittlerweile in Venezuela buchstäblich nichts mehr gibt. Keine Lebensmittel im Laden, keine Medikamente. 5 Ltr. Trinkwasser kosten über 20 US-Dollar; ein Verdienst beträgt umgerechnet durch den sich im freien Fall befindlichen Kurs ca. 3 US-Dollar
– im Monat !!!!! Lehrer, Ärzte, Ingenieure, jeder, der es sich leisten kann, hat das Land verlassen. Es gibt keine Arbeit, die Hotels an der wunderschönen Küste haben alle dichtgemacht, es kommen keine Boote mehr. Die Leute werden krank, weil sie schmutziges Wasser trinken. Das Geld wird jeden Tag weniger wert. Es ist einfach unglaublich, wie man so ein schönes und eigentlich reiches Land (in Venezuela gibt es reichhaltige Bodenschätze) durch Korruption und Misswirtschaft so zugrunde richten kann. Und diejenigen, die eh schon arm sind, haben wie immer am meisten darunter zu leiden.
Ein anderer Yachtie aus Südafrika hat uns erzählt, dass er dort seinen ganzen Besitz verkauft hat, weil es als Weißer dort einfach zu gefährlich ist. Ein Nachbar und Freund von ihm wurde überfallen. Die Frau konnte sich ins Auto retten, als man den Mann mittels grausamster Folter (man hat ihm kochendes Wasser eingeflößt) zwingen wollte, den Tresorschlüssel heraus zu rücken. Als die Frau mit der Polizei zurück kam, fanden sie den Mann tot vor. Man hatte ihm in das Gesicht geschossen. Die Regierung hat verhindert, dass die Geschichte an die Öffentlichkeit kommt. Schließlich soll es ja so aussehen, als wäre alles in Ordnung im Land. Wahrscheinlich gibt es zig Länder, wo es ähnlich ist und wir einfach nichts davon mitbekommen. Aber solange es solch machthungrige, egoistische und verblendede Regierungen gibt, wird sich nichts daran ändern. Ist das nicht absolut schrecklich?