05.02.2019 Exumas, wir kommen
Franz:
Nachdem durch einen Übermittlungsfehler die Flugdaten meines Bruders leider um eine Woche verändert (nach hinten verschoben) wurden, haben wir uns kurzerhand entschlossen, Nassau den Rücken zu kehren und in Richtung Exumas zu verlassen. Da der zu erwartende Schlag deutlich über 30 nautische Meilen betrug, haben wir wieder einmal unsere Wecker gestellt, damit wir möglichst früh den Hafen verlassen konnten, um unser Ziel noch bei Tageslicht zu erreichen. Am Abend vorher hatten wir noch Besuch der Bahamas Boarder Control. Gerade als wir den Tisch gedeckt hatten für eine Brotzeit, kamen fünf Beamten ans Boot. Zwei von Ihnen kamen an Bord. Als erstes wurden unsere Brotzeitmesser auf die Seite geräumt (wir könnten ja damit auf sie losgehen), dann musste ich die Sicherheits-ausrüstung vorzeigen (Rettungswesten, Feuerlöscher, Medizin-Notfall-Koffer, Seenotrettungsmittel), und Fragen nach Waffen beantworten. Derweil kontrollierte der andere die Papiere, gab die Daten per Funk durch, und machte fleißig Notizen. Aber alles war o.k. , wir bekamen eine Bescheinigung, und sie fuhren zum nächsten Schiff.
Kurz nach Morgengrauen hieß es: Morgentoilette erledigen, Schiff klar machen, Rettungswesten anziehen und Funkgeräte bereitstellen, Ankerbesteck herrichten, Großsegel hochziehen, Motor starten und Anker lichten. Danach folgte das ruhige hinaustuckern aus dem Hafen, zwischen den ankerliegenden Schiffen, deren Besatzungen noch schliefen. Als nächstes durchfuhren wir die beiden großen Brücken (es ist jedesmal ein wahrer Adrenalinschub, wenn man mit einer Segeljacht, deren Mast knapp 18 Meter hoch ist, eine Brückendurchfahrt aus der Froschperspektive erlebt). Sobald wir diese passiert hatten, hieß es nur noch, von den Untiefen freihalten und den Verkehr beobachten. Aber um diese Uhrzeit sind nur ein paar Fischer sowie ein Postschiff unterwegs. Die friedliche Stille lässt uns beide in eine meditative Stimmung verfallen. Jeder von uns genießt diese Morgenstimmung. Schiffe, Häuser, Menschen, alles gleitet an uns vorbei, taucht vor uns auf und verschwindet hinter uns auf gleiche Weise. Da der Wind bereits etwas zugenommen hatte, haben wir auch unsere Genua gesetzt. Nach wenigen Minuten hatten wir soviel Fahrt, dass wir die Hauptmaschine stoppen konnten. Plötzlich herrschte Ruhe. Nahezu lautlos glitten wir duch den Kanal hinaus in die See. Als wir genügend Freiraum zum Setzen unseres Kurses hatten, wurden die Segel dem neuen Kurs angepasst, der Autopilot programmiert und wir nahmen eine gemütlichere Sitzposition ein. So, jetzt hieß es erst mal Kaffee machen (ohne Kaffee geht bei mir gar nichts). Kardanik am Herd entriegeln (notwendig, wenn man auf See versucht, zu kochen), Topf mit Wasser draufstellen, Kaffeefilter und Termoskanne bereitstellen, Kaffeepulver einfüllen und warten bis das Wasser kocht. Nach endlosen Minuten kündigt der aufsteigende Wasserdampf endlich die finale Phase der Kaffeezeremonie an. Jetzt kommt der kritische Teil: das Aufbrühen! Liebe mitfühlende Lesergemeinschaft, stellt Euch jetzt bitte einen permanent schwankenden, jede Welle und jede Windböhe reagierenden Untergrund vor. Und nun balanciert man mit einem Topf kochenden Wassers die Treppe des Niedergangs empor, um im Cockpit dasselbe in den Einfülltrichter auf der Kaffeekanne freihändig einzufüllen. Sowie das Schiff dann wegen Wind durchkränkt (sich Windrichtungsabhänging neigt), versteht man, eine Tasse Morgenkaffee zu wertschätzen. Was dann folgt, ist eine Mischung aus tiefster, innerer Zufriedendeit, gepaart mit dem Wissen, alles richtig gemacht zu haben. Es ist Dienstag Morgen. Michaela und ich sinnieren, was wir in unserem alten Leben normalerweise genau jetzt tun würden: Arbeit, Büro, Alltag. Im Rückblick fällt uns auf, dass zwischen der finalen Entscheidung, unser altes Leben auf zu geben und uns ein Schiff zu kaufen, noch nicht mal ein Jahr vergangen war. Was für ein irres Arbeitspensum wir doch da hingelegt hatten. Und nun; nun sitzen wir hier, im Cockpit unseres eigenen Schiffs, eine Tasse Kaffee in der Hand, mitten unter der Woche und segeln in die Exumas. Was bietet uns das Leben denn noch?
Als wir den Kanal in Nassau verließen, haben wir einen Segler überholt, der augenscheinlich den gleichen Kurs hatte, wie wir. Da wir bereits im Kanal die Segel gesetzt hatten, konnten wir ohne Zeitverzug unseren neuen Kurs ansetzen und drauf lossegeln. Nach einer geraumen Zeit musste ich feststellen, dass unser mühsam herausgefahrener Vorsprung nach und nach dahinschmolz. Ich machte Michi auf diesen Tatbestand aufmerksam und versuchte zugleich, unsere Segelstellung zu überprüfen. Ich wusste, dass wir ein schnelles Schiff hatten. Wie konnte es also sein, dass dieses deutlich kleinere Schiff schneller war als wir? Michi erinnerte sich, eine Anleitung über Segeltrimm ausgedruckt zu haben. Nach wenigen Minuten wurde sie fündig. Schritt für Schritt gingen wir nun zuerst das Großsegel und danach das Vorsegel durch. Baumniederholer fieren, Großschot fieren, Genuaschot fieren, Verholepunkt versetzen und immer den Bootsspeed kontrollieren. Nach wenigen Minuten hatten wir die Geschwindigkeit um mehr als einen Knoten erhöht. Und siehe da, unser mitsegelnder Freund konnte plötzlich nicht mehr mithalten. Mit jeder Minute fiehl er mehr und mehr ab, bis er irgendwann außer Sicht war. Okay, das klingt in manchen Ohren jetzt vielleicht nach typischen Männerspielchen, aber auch das ist segeln. Wenn man ein derart schnittiges Teil wie die Aton sein Eigen nennen darf, dann spielt immer auch ein gewisser Grad an Ehrgeiz mit, sorry.
Da der Wind uns treu blieb und eher an Intensität etwas zunahm, änderten wir unser ursrüngliches Ziel Highbourne Cay und wählten das etwas entferntere Norman Cay. Mit durchschnittlich 7 Knoten Fahrt rauschten wir bei leichtem Segelwind die knapp 46 SM hinunter und kamen nachmittags um 15:40 in der Zielbucht erschöpft, aber rundum zufrieden und glücklich an. So endete für uns ein sehr schöner Arbeitstag.